Kühlen vs Heizen (oder warum einige Amerikaner die Deutschen nach Griechenland umsiedeln wollen)

Juni 17, 2012

Wir hatten in einem früheren Eintrag über den vergleichsweise hohen Energieverbrauch von amerikanischen Häusern, die historischen Gründe dafür und wie sich das jetzt ändert gesprochen. Diskutiert man mit Deutschen über das Thema, kommt schnell die Frage auf, wie man überhaupt in ein Wärmegebiet — zum Beispiel in die Bundesstaaten Arizona oder New Mexico — ziehen kann, wo ständig Klima-Anlagen benötigt werden.

Wir haben es hier mit zwei Annahmen zu tun: Erstens, dass heizen der Normalfall ist und kühlen etwas Besonderes. Zweitens, dass kühlen mehr Energie verbraucht als heizen.

Den ersten Punkt kann man schnell abhandeln. Im Winter zu heizen, das ist nun Mal für Mitteleuropäer im Winter der Normalfall, fast ein Naturgesetz (außer in Passivhäusern). Etwa so, wie in Saudi-Arabien im Sommer gekühlt wird — dort wird dann die Hälfte der Energie für Klima-Anlagen verbraucht. Vermutlich werden Amerikaner in Riad ständig gefragt, wie man so blöd sein kann, in Michigan oder Minnesota zu leben. Dort gefriert im Winter doch sogar das Wasser!

Die USA umfassen dagegen (fast) die ganze Bandbreite der Klima-Zonen. In einigen Teilen des Landes muss man heizen, in anderen kühlen. Einen „Normalfall“ gibt es nicht.

Entsprechend könnten Amerikaner (und Saudis) die Frage nach der Bewohnbarkeit von Arizona mit der Gegenfrage beantworten, ob die Europäer nicht langsam die Evakuierung von Norwegen, Schweden und Finnland in Angriff nehmen wollen. Wie kann man bloß auf die Idee kommen, in eine Region zu ziehen, wo ständig Heizungen gebraucht werden und es im Winter nie wirklich hell wird? Energetisch ist das doch Wahnsinn!

[Fußnote: Amerikaner und Europäer gleichermaßen unterschätzen oft, wie viel weiter nördlich Mitteleuropa im Vergleich zu den USA liegt. Faustregeln: New York ist etwa auf einer Höhe mit Madrid und Berlin gleichauf mit den Aleuten, die Inselkette im Süden Alaskas.]

Was uns zu Punkt zwei bringt: Kühlen ist — zumindest unter den gegenwärtigen Bedingungen — in den USA energetisch günstiger als heizen.

Dieser Effekt ist zusammen mit der verbesserten Dämmung bei Neubauten der Grund dafür, dass amerikanische Häuser im Durchschnitt immer weniger Energie verbrauchen: Bekanntlich gab es in den vergangenen Jahrzehnten eine Wanderung vom kalten (und sehr kalten) Nordosten in den warmen (und sehr warmen) Südwesten. Wie die Washington Post unter Berufung auf Daten der Energy Information Administration (EIA) schreibt:

Note that homes in the South and West use a whole lot of energy for air conditioning during the summer (…). But they also require considerably less energy for heating in the winter. And that tends to outweigh the A/C [air conditioning] effect.

Dazu kommt noch, dass von der Natur der Sache her die Energie für die Klima-Anlagen von Solarzellen kommen kann (oder besser, „kommen könnte“, denn hier ist noch richtig viel ungenutztes Potenzial), genau dann also, wenn man sie am dringendsten braucht. Selbst mit einem Eimer weißer Farbe kann man Großes bewirken. In den nördlichen Winternächten ist es dagegen einfach nur kalt und dunkel.

Entsprechend reagieren einige Amerikaner schnippisch auf mitteleuropäische Kritik an der Bevölkerungsverteilung. In dem konservativen Blog American Interest finden wir diesen Ratschlag:

The Germans for their part could help the planet by moving to Spain and Greece; this might also help with Europe’s financial woes.

Der Effekt ist um so erstaunlicher, weil die Amerikaner inzwischen dramatisch weniger Energie für ihre Heizungen verbrauchen als noch 1978. Zwar spielt auch hier eine neu entdeckte Liebe zum warmen Südwesten eine Rolle, hauptsächlich aber eine bessere Dämmung und effizientere Heizgeräte, wie die EIA im vergangenen Jahr berichtete. In Zahlen –

[Einschub: Hier müssen wir kurz auf die Einheiten eingehen. Beim Energieverbrauch rechnen die Amis in British Thermal Units (BTU). Der interessierte Leser weiß das aus Morpheus‘ Rede in The Matrix (Hervorhebung hinzugefügt):

The human body generates more bio-electricity than a 120-volt battery and over 25,000 BTUs of body heat. Combined with a form of fusion, the machines had found all the energy they would ever need.

Ein BTU entspricht etwa 0,3 Wh. Für den Energieverbrauch im großen Stil nimmt man sogenannte quads, von quadrillion BTU, also 10^15 BTU. In der Praxis rechnen wir das Ganze eh im Internet um.]

– wurden damals 6,96 Quad in 76,6 Millionen Haushalten (occupied housing units) verbraucht. Bis 2005 stieg die Zahl der Haushalte zwar auf 111 Millionen, der Heizungsverbrauch sank allerdings auf 4,3 Quad. Der Gesamtenergieverbrauch pro Haushalt — von der Waschmaschine über den Fernseher zur Klima-Anlage — ging um 31 Prozent zurück. Daher unsere Feststellung im früheren Eintrag, dass sich die Dinge in den USA ändern.

(Dabei hat auch die Verbreitung von Klima-Anlagen deutlich zugenommen und auch sie werden immer effizienter. Aber das überlassen wir dem interessanten Leser zum Selbststudium.)

Große Reserven finden sich übrigens in allen Ländern noch in den Gewohnheiten des Einzelnen. Zieht man bei leichter Kälte nach dem Vorbild von Präsident Jimmy Carter einen Pullover an oder regelt man die Heizung für das ganze Haus hoch, was (zu) viele seiner Landsleute tun? Der Physikprofessor Tom Murphy aus San Diego berichtet in seinem Blog Do the Math von seinen Erfahrungen mit einer Strategie, bei der die Person und nicht das Haus warmgehalten wird (Hervorhebungen im Original):

[I] really could care less how warm the pictures on the wall are, or the kitchen knives, or the books in the bookshelf, etc. I care how warm I am. And that’s a much easier task. So concentrate on warming the person, not the house, and suddenly you’ll find that not much energy is needed to stay warm.

Und das gibt uns die Chance, mit einem Witz über die Temperaturen in Lappland zu schließen. Heizen, so muss man danach sagen, ist aus Prinzip für Weicheier.

[Korrigiert 17. Juni 2012: Zehnerpotenz von quadrillion, zuerst gesehen von RN, vielen Dank]