Der mutmaßliche Amoklauf eines muslimischen Militärpsychologen auf dem Stützpunkt Fort Hood gibt uns einen Anlass, etwas mehr auf das Thema Religion in den USA einzugehen.
Denn parallel zur Gesamtgesellschaft sehen wir auch in der Armee eine deutliche Zunahme der religiösen Vielfalt. Anders formuliert nimmt die Zahl der Christen unter den 1,4 Millionen Soldaten stetig ab. Zwar stellen sie immer noch bis zu drei Viertel der Truppe und damit die deutliche Mehrheit. Das US-Militär marschiert aber in großen Schritten darauf zu, die westlichen Streitkräfte mit einem der geringsten Anteile an Christen zu werden, wenn sie es nicht sogar schon sind (die Türkei klammern wir hier aus offensichtlichen Gründen aus). Das dürfte nicht nur den Taliban unklar sein.
Zuerst: Es ist unmöglich, genaue Zahlen über Religion in den amerikanischen Streitkräften zu bekommen. Bekanntlich darf der Bund in den USA wegen der Trennung von Kirche und Staat keine Daten zum Glauben erheben und die entsprechenden Angaben der Soldaten auf den Personalbögen sind freiwillig. In einer Studie [PDF] des unabhängigen Population Reference Bureau von 2004 wurde der Anteil der Christen in Uniform mit (gerundet) 68 Prozent angegeben und die der Atheisten und Religionslosen mit 21 Prozent. Keine Angaben machten elf Prozent. Generell seien amerikanische Soldaten weniger religiös als die Gesamtbevölkerung.
Vergleichbare Zahlen sind noch schwieriger. Angeblich sind 94 Prozent der britischen Soldaten Christen. Das klingt unwahrscheinlich – realistischer ist, dass dieser Anteil der gläubigen Soldaten Christen sind. Auch bei der Bundeswehr gibt es Probleme, weil gar keine Daten erhoben werden. Es soll 1.000 Muslime und 200 Juden unter den 250.000 deutschen Soldaten geben. Juden sind bekanntlich vom Wehrdienst befreit.
Allgemein haben westliche Armeen kein Interesse daran, viel über Religion zu sprechen – außer natürlich, wenn man gerade gegen Islamisten kämpft und bei jeder Gelegenheit betonen will, ganz viele ihrer Glaubensgenossen unter Waffen zu haben. Die Angaben zur Zahl der Muslime im US-Militär schwanken dabei deutlich, zwischen offiziell mehr als 4.000 und fünf Mal so viele:
The population of Muslims in the military has significantly increased within every branch of the Armed Forces over the past several years. By even the lowest estimates, there are currently more than 20,000 Muslim in the US Armed Forces and these figures are constantly increasing.
Religion kann man eigentlich nicht getrennt von einem ganzen Haufen anderer Faktoren betrachten. Bei einem Berufsheer – sprich, in so ungefähr jedem demokratischen Land außer Deutschland und Israel – gibt es immer den Vorwurf, dass die „Eliten“ nicht dienen und ihr Anteil in den Streitkräften geringer ist. Einige Kritiker wollen diesen Effekt im religiösen Aufbau der amerikanischen Armee erkennen:
You’d expect there to be 21,000 or so Episcopalians in uniform. There are only 9,600. You’d expect 33,000+ Presbyterians. There are 13,000. Lutherans, you’d expect 58,000. There are 35,000. Methodists? 83,000 expected. 44,000 in fact.
Baptisten und Mormonen sind dagegen überrepräsentiert. Das Population Reference Bureau sieht in seiner Studie ebenfalls einen Unterschied zwischen den Verteilungen in der Allgemeinbevölkerung und dem Militär, warnt jedoch ausdrücklich, dass die Zahlen schwer zu vergleichen sind.
Diese Diskussion ist zwar interessant, wird aber schnell heikel. Im Sommer 2009 lag die Zahl der US-Soldaten, die sich als Buddhisten bezeichneten – die drittgrößte Religion in den USA – bei etwa 5.300. Für das Heer wird die Zahl der Juden – die zweitgrößte Religion – mit etwa 4.000 angegeben, andere Quellen sprechen von 4.000 im ganzen Militär. Laut der Pew-Studie zu Religion [PDF] sind aber 1,7 Prozent der US-Bevölkerung Juden und 0,7 Prozent Buddhisten. Zieht man jetzt den Begriff der „Elite“ dazu, haben wir eine Debatte, an der sich dieser Autor nicht beteiligen wird.
Unbestritten ist dagegen, dass es überdurchschnittlich viele Evangelikale (evangelicals) unter den Christen im Militär gibt, besonders unter den Seelsorgern. Das dürfte dem interessierten Leser bekannt sein, denn in den Medien, ob amerikanischen oder deutschen, gibt es bei Religion und US-Armee nur ein Thema: Radikale Christen, für die Kriege angeblich nur eine willkommene Gelegenheit für die Missionierung sind. Vor einigen Wochen veröffentlichte die Huffington Post dazu eine Sammlung von Vorfällen mit dem Titel „Top Ten Ways to Convince the Muslims We’re On a Crusade“.
Ob die Radikalen wirklich so einflussreich sind oder nur sehr laut und nervig, ist allerdings umstritten. Selbst Humanisten zeigen sich skeptisch über eine Unterwanderung der Streitkräfte. Vermutlich müssten die Evangelikalen erstmal die Illuminati verdrängen.
Leichter zu fassen als der religiöse Jetzt-Zustand beim amerikanischen Militär ist die Entwicklung – weniger Christen, mehr Nicht-Religiöse, viele kleinere Glaubensgemeinschaften. Ein Beleg dafür ist der zunehmende Zank über Religion innerhalb der Streitkräfte.
Auch hier hört man am häufigsten von radikalen Christen, die andere Soldaten bekehren wollen. Der bekannteste Vorfall sind Beschwerden jüdischer Kadetten an der Luftwaffen-Akademie in Colorado Springs, die nach eigenen Angaben von Christen unter Druck gesetzt wurden. Der Kongress schaltete sich ein und ein Bericht der Luftwaffe bestätigte Fälle von religiöser Intoleranz:
[T]here was a failure at the academy „to fully accommodate all members‘ needs and a lack of awareness over where the line is drawn between permissible and impermissible expression of beliefs.“
Weil wir hier von Amerikanern reden, gibt es natürlich eine Klage, angestrengt von der 2005 gegründeten Bürgerrechtsgruppe Military Religious Freedom Foundation (MRFF). Deren Gründer Michael L. Weinstein, selbst Absolvent der Akademie, berichtet stolz über die Anfeindungen der Radikalen:
Satan, Satan’s lawyer, the Antichrist, That Godless, Secular Leftist, The Antagonizer of All Christians, The Most Dangerous Man in America and […] The Field General of the Godless Armies of Satan.
(Zu Satanisten im Heer des „Großen Satans“ gibt es gar keine verlässlichen Zahlen. Die Briten, inzwischen ja ein „Kleiner Satan“, haben mindestens einen.)
Experten erwarten weitere Klagen, und zwar nicht nur, weil es mit mehr Nicht-Christen auch mehr Gelegenheit zum Streit gibt, sondern weil die „Kleinen“ mit neuem Selbstbewusstsein auftreten. Jede Gruppe hat inzwischen eine Organisation, die für ihre Rechte eintritt wie die American Muslim Armed Forces and Veterans Affairs Council oder die Military Association of Atheists and Freethinkers (MAAF). Auch ohne die forschen Evangelikalen wäre Ärger programmiert.
Wir können die ganze Entwicklung am Beispiel der Wicca demonstrieren. Das ist eine Untergruppe der „Heiden“ (pagans), zu denen unsere geliebte Willow Rosenberg gehört. In den USA werden die Indianer-Religionen dabei getrennt von den Paganen geführt, wir reden hier also von „europäischen“ Heiden.
Zuerst die Entwicklung in der Gesamtbevölkerung, nach Daten der City University of New York von 1990 bis 2001:
Over the course of those 11 years, the survey went from tabulating 8,000 Wiccans nationally — that branch of Paganism was the only one to turn up — to 134,000 Wiccans, 33,000 Druids and 140,000 Pagans.
Die New York Times zitiert in dem Bericht zudem eine Expertin, die 2009 von 500.000 bis zu einer Million Paganen ausgeht. Die Pew-Studie fand für alle „New Age“-Gruppen einen Anteil von 0,4 Prozent, was bei 308 Millionen Amerikanern etwa 1,2 Millionen wären. Kurz: Es gibt immer mehr Heiden in den USA.
Im Militär sollen 1.800 Wicca dienen. Auch ihre Organisationen bieten Hilfe für die Opfer des Fort-Hood-Massakers an. Nach einem langen Kampf und einigen Klagen dürfen gefallene Pagane seit 2007 unter ihrem Zeichen beerdigt werden, dem pentacle. Bei den Wicca finden wir auch die Bereitschaft der Soldaten, für die Anerkennung ihres Glaubens offen einzutreten:
„I want to get to the point where you can say Pagan or Wicca and not get a bad reaction,“ said Staff Sgt. Katie McDaniel, 31, a Wiccan.
Der Streit über die Wicca im Militär tobt seit Jahren. Berühmt wurde der Ausspruch von George W. Bush als Gouverneur von Texas während des Wahlkampfs 2000:
I do not think witchcraft is a religion, and I do not think it is in any way appropriate for the U.S. military to promote it.
Dummerweise sieht das die amerikanische Verfassung anders, wie die Gerichte bestätigen: Wicca ist in den USA eine vollwertige Religion (ob Wicca dabei wirklich mit „Hexerei“ gleichzusetzen ist, ist nicht unser Thema). Bushs Gegenkandidat, der damalige Vize-Präsident Al Gore, wich der Frage übrigens aus.
Das Handbuch für Militärseelsorger geht inzwischen seitenweise auf Wicca ein und warnt davor, sie mit Satanisten zu verwechseln. Rund läuft alles allerdings nicht. Das Heer zog 2007 den Seelsorger Don Larsen nach seiner Konvertierung zum Wicca aus dem Irak ab und enthob ihn seines Amtes. Heute dient er bei der Nationalgarde von Idaho.
Aber auch bei den großen Religionen gibt es weiter Probleme. Die Seelsorger beim US-Militär müssen zum Beispiel einen Masters-Abschluss in Religion vorweisen. Dummerweise haben einige Religionen keine Priester und damit keine entsprechenden Seminare, allen voran der Buddhismus. Der erste buddhistische chaplain im Heer, Thomas Dyer, wurde in diesem Jahr nur deswegen zugelassen, weil der ehemalige Baptist noch als Christ seinen Abschluss machte (an dem Problem wird gearbeitet). Vor einigen Tagen wurde dem ersten Sikh gestattet, den Dienst mit Kopfbedeckung anzutreten, sehr zur Freude der amerikanischen Sikh Coalition. Auch diesem Fall ging ein jahrlanger Streit voraus.
Der Trend ist eindeutig. Als Freiwilligenarmee müssen die amerikanischen Streitkräfte damit klar kommen, dass immer mehr Leute aus verschiedenen Religionen Dienst tun oder gar keinem Glauben anhängen. Die Truppe muss sich anpassen.
Entsprechend wurde im Sommer 2006 in Quantico der erste Gebetsraum für muslimische Marines bereitgestellt. Einige Monate später eröffnete die Heeres-Akademie Westpoint eine ähnliche Stätte. Die viel gescholtene Luftwaffen-Akademie hat den ersten buddhistischen Andachtsraum der Streitkräfte eingerichtet – im Keller ihrer berühmten Kapelle. Aber immerhin.
Zumindest in den Elite-Einheiten ist man demonstrativ bemüht, die ganze Diskussion als völlig belanglos abzutun:
Petty Officer Third Class Nicholas Burgos, a Sunni Muslim training to be a Navy SEAL, or commando, says instructors sometimes goad him by calling him „Osama bin Burgos“ or asking if he’s training to help the Taliban. But „it’s all in good fun,“ he insists. „It’s all about how much mental stress you can deal with while you’re in training,“ Petty Officer Burgos says. „I just laugh or have a smirk on my face.“