Wahlen, Teil 6: Gewaltenteilung als Faktor bei der Präsidentenwahl

September 16, 2008

Deutsche haben bekanntlich Schwierigkeiten mit der Gewaltenteilung. Im Moment macht sich das insbesondere bei Diskussionen über die Präsidentschaftswahl bemerkbar. Wir zeigen daher heute am laufenden Wahlkampf, warum die Entscheidung für einen Kandidaten auch davon abhängen kann – einige Amerikaner würden sagen „abhängen sollte“ oder „abhängen muss“ – wie die Verhältnisse im Kongress aussehen.

(Dieser Autor möchte die folgende Diskussion nicht als Unterstützung für die eine oder andere Partei oder den einen oder anderen Kandidaten verstanden wissen. Für dieses Blog gilt ab sofort: Richard Wilkins III for President!)

Der interessierte Leser wird sich erinnern: Nicht der Präsident macht die Gesetze, sondern der Kongress, notfalls ohne und im Extremfall gegen ihn. Es gibt damit zwei bestimmende Mächte in der amerikanischen Alltagspolitik, die selbst dann zusammenarbeiten müssen, wenn dort verschiedene Parteien das Sagen haben.

Wenn nun alle vier Jahre die Präsidentschaftskandidaten auftreten, ihre auf Hochglanz polierten Programme vorstellen und mit leuchtenden Augen ihre Wahlversprechen aufsagen, stellt sich dem amerikanischen Wähler nicht nur die Frage, ob ihm das alles gefallen würde. Er überlegt sich auch: Kriegt er seine Wundergaben überhaupt durch den Kongress?

In diesem Wahljahr sind entprechende Planspiele einfach. Den Umfragen zufolge werden die Demokraten ihre Mehrheit im Senat wie im Repräsentantenhaus halten oder sogar ausbauen.

[Kaum ist dieser Eintrag fertig, sacken die Demokraten zum ersten Mal seit Monaten in den Umfragen deutlich ab. Nee, is‘ klar. Danke auch. Das ignorieren wir, denn es geht ums Prinzip und dieser Autor hat keine Zeit, alles umzuschreiben.]

Damit kann sich der Demokrat Barack Obama bei einem Sieg Hoffnungen machen, sein Wahlprogramm zumindest in groben Zügen umsetzen zu können. Für seine Anhänger wäre das der Idealzustand. Dabei hätten allerdings auch solche Programmpunkte eine Chance verwirklicht zu werden, die Republikanern als extrem gelten.

Umgekehrt wissen wir jetzt schon: Der Republikaner John McCain könnte als Präsident nur die Abschnitte seines Wahlprogramms durchsetzen, die den Demokraten in den Kram passen. Auch McCains Kandidaten für die Staats- und Regierungsämter – insbesondere die neuen Richter am Supreme Court – müssten erstmal am demokratischen Senat vorbei.

Damit können wir schon mal erklären, warum die Programme der Kandidaten unterschiedlich streng bewertet werden. Wenn McCain propagieren würde, alle Erstgeborenen Cthulhu zu opfern, würde das zwar Rückschlüsse auf seinen Charakter zulassen. Aber angesichts der Mehrheiten im Kongress ist das sonst bedeutungslos, denn so etwas machen die Demokraten natürlich nie mit. Ein Programmpunkt von Obama dagegen, für die Tinte der Dollar-Scheine das Blut von Jungfrauen zu verwenden, müsste viel ernster genommen werden. Bestimmt wollen das alle Demokraten.

Für eingefleischte Republikaner ist ein demokratischer Kongress natürlich eine Tragödie. Wie ihre demokratischen Gegenspieler wünschen sie sich zu Abermillionen nichts sehnlicher, als dass ihre Partei nicht nur die Präsidentschafts- und Kongresswahlen gewinnt, sondern am besten auch den Superbowl, den Stanley Cup und die World Series. Nur wenn alles in einer Hand ist, so das Argument der Parteianhänger, kriegt man etwas geschafft.

Es gibt in der Mitte des Spektrums aber eine andere politische Schule. Sie sagt, dass es besser ist, wenn alle Beteiligten mit Gewalt zum Kompromiss gezwungen werden. Eine Herrschaft einer Partei – egal welcher – über die Legislative und Exekutive macht diese Leute nervös. Genau diese Situation gab es schließlich in den ersten Jahren unter George W. Bush, und einige Amerikaner halten das Ergebnis für, äh, möglicherweise nicht ganz optimal. Das Letzte, das die USA jetzt bräuchten, wäre ein ähnlich extremer Ausschlag in die entgegengesetzte Richtung.

Damit ist der sich abzeichnende Sieg der Demokraten im Kongress für einige Amerikaner ein Argument dafür, ihre Stimme dem Republikaner McCain zu geben.

Jede Seite soll nur die halbe Macht bekommen, sagen diese Wähler. Dann könne man davon ausgehen, dass Kongress und Präsident das tun, was laut Verfassung zu ihren wichtigsten Aufgaben gehört: Sich gegenseitig zu kontrollieren. Extreme Gesetze fänden keine Mehrheit oder würden umgekehrt mit einem Veto zerquetscht. Demokrat und Demokraten oder Republikaner und Republikaner ist dagegen grundsätzlich schlecht, weil eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.

Diese Denkweise ist Deutschen fremd, denn ohne Gewaltenteilung sind solche Strategien nicht möglich. Die Exekutive geht aus der Legislative hervor und der Kanzler wird ohne Mehrheit im Parlament gar nicht erst Kanzler. Es ist ein Entweder-Oder-System. Als Gegenstück kommt höchstens die Große Koalition in Frage, aber die wird selten vorher angekündigt, gilt meist als Notlösung und kann vom Wähler kaum bewusst herbeigeführt werden.

Und jetzt muss dieser Autor Flyer für Richard Wilkins III verteilen.

[Korrigiert 16. Sep 2008: „Europäern“ durch „Deutschen“ im vorletzten Absatz ersetzt, zuerst gesehen von R., vielen Dank]

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