Die USA 2006, jetzt mit noch mehr Spanisch

September 13, 2007

Die US-Volkszählungsbehörde hat gestern ihre Daten für 2006 vorgelegt. Das ist nicht die eigentliche Volkszählung, der census, nach dem die Sitze im Repräsentantenhaus unter den Bundesstaaten verteilt werden; der steht erst wieder 2010 wieder an. Vielmehr werden bei der American Community Survey (ACS) etwa drei Millionen Haushalte untersucht, vermutlich damit die Regierungsstatistiker sich nicht in den zehn Jahren zwischen den richtigen Zählungen langweilen.

Wir wollen uns hier nicht mit so spannenden Informationen befassen wie die, dass die Wohneigentumsquote mit 67,3 Prozent weiter zugenommen hat, dass zehn Prozent der Erwachsenen Veteranen sind oder gar dass der durchschnittliche Bürger von North Dakota 15,5 Minuten zur Arbeit braucht. Vielmehr wollen wir die Zahlen nutzen, um einige Dinge zur Sprache festzuhalten.

Fangen wir damit an, dass fast 20 Prozent der amerikanischen Bevölkerung zu Hause kein Englisch spricht. Das sind etwa 60 Millionen Menschen, oder etwas griffiger formuliert, die Bevölkerung Großbritanniens. Es gibt dabei große regionale Unterschiede: In Kalifornien beträgt der Anteil mehr als 40 Prozent, in New Mexico und Texas mehr als ein Drittel, in New York, Arizona, New Jersey, Nevada und Florida noch mehr als ein Viertel. Das ist eine deutliche Zunahme, denn 1980 betrug der Anteil noch 11 Prozent [PDF].

(Wer das graphisch haben will, kann sich eine interaktive Sprachkarte der USA anschauen, wo auch gezeigt wird, wo am meisten Deutsch oder Hindi gesprochen wird.)

Man darf jetzt nicht den Fehler machen, diese Leute alle für einsprachig zu halten. Knapp neun Prozent der US-Bürger geben an, Englisch weniger gut als „sehr gut“ zu sprechen. Wir haben es in der Mehrheit mit Menschen zu tun, die zu Hause vielleicht Spanisch, Chinesisch oder Navajo sprechen, aber auf der Arbeit und beim Einkaufen Englisch. Trotzdem gibt es immer mehr Amerikaner, die zu Hause lieber etwas anderes sprechen.

Könnten das die Einwanderer sein? Die ACS sagt uns, dass 38 Millionen Menschen in den USA nicht dort geboren wurden. Das ist zwar ein neuer Rekord und mehr als es Kanadier gibt – mal wieder – aber weniger als die 60 Millionen, die zu Hause kein Englisch sprechen. Selbst wenn wir annehmen, dass alle Briten, Australier, Inder, Iren, Südafrikaner und Neuseeländer in ihrer Heimat geblieben sind, haben wir noch mehr als 20 Millionen gebürtige Amerikaner, die auf Nicht-Englisch nach dem Salz bitten.

Die wichtigste Sprache ist Spanisch, wie wir vor mehr als einem Jahr in unserem Eintrag über die Hispanics gesehen hatten. Aus der neuen Studie wissen wir, dass español inzwischen für zwölf Prozent der Amerikaner die Haussprache ist. Die Zahl der US-Bürger, die brauchbares Spanisch sprechen, dürfte um einiges höher liegen: Die letzte richtige Volksbefragung ergab, dass die Zahl der Spanischsprachigen von 1990 bis 2000 um 60 Prozent zunahm.

Man macht es sich dabei zu einfach, Spanisch als eine Unterschichtsprache zu sehen, zumindest auf lange Sicht. Zwar spricht die Zahl für sich, dass 47 Prozent der Einwanderer aus Lateinamerika nicht das Gegenstück zum Highschool-Abschluss haben (zum Vergleich: 48 Prozent der Einwanderer aus Asien haben eine Hochschule besucht). Aber Demographen wie William Frey vom Brookings Institution weisen auf eine sehr amerikanische Tendenz unter den Hispanics hin:

[T]hat isn’t to say that the second or third generation won’t do better, because they will. There is upward mobility.

Das in Deutschland bekannteste Beispiel – von Popstars abgesehen – dürfte der ehemalige Justizminister Alberto Gonzales sein, der Sohn von armen Erntehelfern aus Mexiko, der noch bei seinem unrühmlichen Rücktritt erklärte:

I have lived the American dream. Even my worst days as attorney general have been better than my father’s best days.

Entsprechend gibt es jede Menge nicht-hispanischer Amerikaner, die einen Blick auf die Bevölkerungsentwicklung werfen und daraus die Konsequenzen ziehen. Die Zahl der Studenten in den USA, die Spanisch als Fremdsprache belegten, stieg von 1998 bis 2002 um 13,7 Prozent auf knapp 750.000 (etwas mehr als 91.000 wollten Deutsch lernen). Die wirtschaftliche Bedeutung des Spanischen nimmt immer weiter zu, einfach wegen der Zahl der spanischsprachigen Kunden. Inzwischen kann sich selbst der Verband der New Yorker Apfelzüchter dem nicht verschließen.

Die Politik ist schon weiter, denn in einem Staat mit einer starken direkten Demokratie wie die USA gilt die Depeche-Mode-Regel: Everything counts in large amounts. Mehr als zwölf Prozent der Bevölkerung, das sind eine Menge Wähler.

Regional ist ihr Einfluss noch größer, wie uns eine weitere Zahl aus der ACS zeigt: In Kalifornien gibt ein Fünftel der Bevölkerung an, ihr Englisch sei schlechter als „sehr gut“. Wer die Stimme dieser Leute haben will, muss ihre Sprache sprechen. Daher ist es inzwischen selbstverständlich, dass el gobernador Arnold Schwarzenegger, el presidente George W. Bush oder la senadora Hillary Clinton ihre Politik zweisprachig fahren.

Mehr noch, die demokratischen Präsidentschaftskandidaten haben sich vor einigen Tagen zu einer Debatte auf Spanisch bei dem Sender Univision [Video] eingefunden. Zwei von ihnen sprechen selbst Spanisch, Bill Richardson und Chris Dodd. Die Zuschauerzahl betrug 4,6 Millionen, mehr als bei den englischsprachigen Debatten bei ABC, CNN, Fox News oder MSNBC.

Interessant ist daher, dass die spanische Debatte in den deutschen Medien keine Rolle spielte, während die englischen damals ausführlich „gecovert“ wurden. Das allein zeigt, dass die Bedeutung des Spanischen in den USA in Europa nicht verstanden wird. Man stelle sich vor, ein Fünftel der Bundesbürger würde zu Hause kein Deutsch sprechen; dass in NRW dieser Anteil bei 40 Prozent läge und dass dort 20 Prozent nur schlecht Deutsch könnten; dass zur Bundestagswahl die führenden Politiker eine simultan ins – sagen wir mal – Türkische übersetzte Debatte führen würden, deren Einschaltquoten so hoch wären wie die deutschsprachigen.

Und so können wir am Ende die USA einmal anderes beschreiben: Als das fünfgrößte spanischsprachige Land der Welt nach Mexiko, Kolumbien, Spanien und Argentinien. Es wird dem Leser als Übung überlassen zu berechnen, wann Spanien selbst eingeholt werden wird.

(Danke an DKS für den Hinweis auf die ACS-Statistik)