Der Siegeszug des Katanas und der asiatisch-amerikanische Kulturaustausch

Juni 3, 2011

Nach dem Abschluss der achten Staffel von Buffy wollen wir uns mit einer Frage befassen, die dem interessierten Leser 40 Hefte lang den Schlaf geraubt haben wird: Warum benutzen Buffy und die anderen Slayer inzwischen japanische Langschwerter [JPEG], also katanas?

Ehrlich, WTF? Die traditionelle Waffe des Vampirjägers ist der Pflock, schon seit Bram Stoker 1897 zum ersten Mal Abraham van Helsing in den Kampf gegen den Fürsten der Dunkelheit schickte. Auch für Buffy war bislang ein spitzes Stück Holz („Mister Pointy“) gut genug. Mehr noch: In der TV-Serie, sprich, in den ersten sieben Staffeln, war ein Schwert immer ein europäisches Schwert, mit einer geraden, doppelseitigen Klinge und einem großen Heft.

Japanische Schwerter haben in Amerika nicht nur bei Buffy Einzug gehalten. Christopher Lambert kämpfte als der „Highlander“ im gleichnamigen Film [JPG] damit und Laurence Fishburne schlitzt in Matrix Reloaded so ganze Autos auf. Der Zeichner Frank Miller (Sin City) verpasste Elektra [JPEG] — wohlgemerkt, der Name stammt von der Tochter von Agamemnon aus der griechischen Antike — neben ihren sai auch ein Katana. Wenn man dem Computerspiel Left 4 Dead 2 glauben soll, liegen in den Südstaaten überall Katanas herum – praktisch, natürlich, wenn die Untoten kommen. Und wenn eine moderne Alice gegen die „Zombies in Wonderland“ vorgeht, dann auch mit einem Katana.

Nun gibt es Fälle, in denen ein japanisches Schwert in einem amerikanischen Medium ein Teil eines größeren japanischen Themas ist. Die Filme Kill Bill und Ghost Dog gehören dazu. Bei Buffy ist das nicht der Fall. Wenn überhaupt driftet die Serie in die nordische Mythologie ab, wie wir an Buffys denkwürdigem Spruch sehen:

Great muppety Odin, I miss the sex

Dieser Autor möchte eine These aufstellen: In den USA übernimmt das Katana mehr und mehr die Rolle des generischen Schwertes. Soll heißen: Wenn ein Amerikaner das Wort sword hört, taucht vor seinem geistigen Augen inzwischen eher ein japanisches als ein europäisches Schwert auf. Bedenkt man, welchen kulturellen Vorsprung die schottischen claymores [JPG] und König Arthus‘ Excalibur hatten, ist das erstaunlich.

Sollte diese Entwicklung zutreffen — beweisen kann dieser Autor das nicht — wäre sie ein weiteres Beispiel für ein Phänomen, dessen Ausmaß in Europa massiv unterschätzt wird: Der kulturelle Austausch zwischen den USA und Asien.

Enge Kontakte, wenn auch nicht immer freundliche, bestehen natürlich seit Jahrzehnten. US-Soldaten schlugen gemeinsam mit den Europäern den Boxer-Aufstand in China nieder und die Philippinen waren eine amerikanische Kolonie. Die Handelsreisen der clipper ships nach Asien machten viele Familien in den USA stinkreich. Japans Isolation wurde durch eine amerikanische Flotte beendet. Die Kriege gegen Japan, Nordkorea und Nordvietnam waren prägend. Seit mehr als einem halben Jahrhundert stehen Zehntausende GIs in Japan und Südkorea. Die beiden größten Übersee-Handelspartner der USA sind heute China und Japan, nicht irgendwelche europäische Staaten.

In den USA selbst geben 13 Millionen Menschen – etwas mehr als vier Prozent der Bevölkerung – an, Asiaten zu sein. Es gibt damit mehr Asian-Americans auf der Welt als Griechen. Die USA sind das einzige westliche Land mit mehr Buddhisten [PDF] als Muslimen. Das alles prägt das Weltbild: Die Weltkarten an der amerikanischen Westküste verbannen Europa an den äußeren linken Rand [JPG]. Washington und New York — die Hauptstadt und das Finanzzentrum — liegen zwar im Osten der USA und dominieren damit die europäischen Nachrichten über Amerika. Aber Hollywood liegt an der Westküste, wo Schnitzel fast exotischer ist als Sushi.

Schon das macht es schwer der Alten Welt zu vermitteln, wie viel Asiatisches inzwischen die amerikanische Kultur durchdringt und wie viel Amerikanisches in Asien aufgegangen ist.

Die Leute auf beiden Seiten des Pazifiks sind außerdem sehr geschickt dabei, neue Elemente nahtlos bei sich einzubauen. Japanisches — um das einfachste Beispiel zu nehmen — wird in den USA in einen Sternenbanner gewickelt und Amerikanisches bekommt in Japan einen großen roten Kreis aufgedrückt.

Schauen wir uns als Beispiele einige Filme an, wo der Zugang am einfachsten sein dürfte (oder zumindest am meisten Spaß macht).

Da wäre Star Wars, für viele Europäer der Inbegriff des amerikanischen Popcorn-Kinos. Was war George Lucas‘ Inspiration für das Drama über die Beziehungsprobleme der Familie Skywalker? Kakushi-toride no san-akunin, ein Werk des japanischen Großmeisters Akira Kurosawa, im Westen besser bekannt als Hidden Fortress.

Allein der Einfluss Kurosawas ist ungeheuer. Steven Spielberg nennt ihn ehrfürchtig den „Shakespeare des Visuellen“. Der Stoff von Shichinin no samurai (1954), auf Englisch die Seven Samurai, ist gleich mehrfach verarbeitet worden: John Sturges nahm 1960 die Handlung, zog Yul Brynner, Steve McQueen und Charles Bronson (und Horst Buchholz) hinzu, bettete alles in das amerikanische Genre des Westerns ein und schuf so den Klassiker The Magnificent Seven:

Once you begin you’ve got to be ready for killing and more killing, and then still more killing, until the reason for it is gone.

Die Magnificent Seven dienten ihrerseits als Grundlage von diversen Werken wie Stephen Kings Dark Tower oder Pixars Käfer-Film A Bug’s Life (1998). Ob Winnetou und sein Freund Old Firehand (1966) nun mehr von Sturges oder direkt von Kurosawa beeinflusst wurde, ist offenbar ansichtssache.

(Während wir bei Western und Kurosawa sind, könnten wir noch auf A Fist Full of Dollars des Italieners Sergio Leone mit Clint Eastwood und Marianne Koch hinweisen, denn der Film geht auf Yojimbo zurück.)

Star Wars ist etwas für die alten Semester wie dieser Autor, die noch wissen, wer zuerst geschossen hat. Schauen wir uns The Matrix an. Dass der Film vor buddhistischer Philosophie nur so trieft, ist hinlänglich bekannt:

According to Buddhism and according to The Matrix, the conviction of reality based upon sensory experience, ignorance, and desire keeps humans locked in illusion until they are able to recognize the false nature of reality and relinquish their mistaken sense of identity.

Weniger bekannt ist zu welchem Grad die Gebrüder Wachowski von japanischen Zeichentrickfilmen (animes) beeinflusst wurden. Wie Richard Donovan in Manga and the Matrix: Japan’s cultural and linguistic influences on the Matrix series erklärt:

They are on record as big fans of SF anime classics Akira (1988) and Ghost in the Shell (1996/98), which both began life as mango [sic] and are both alluded to in scenes of The Matrix.

Alluded to ist noch höflich formuliert, denn aus Ghost in the Shell von Mamoru Oshii übernahmen die Wachowskis ganze Szenen eins zu eins, wie man am direkten Vergleich sieht. Wenn zum Beispiel Agent Smith in der ersten Verfolgungsjagd nach einem Sprung über die Dächer mit hochgehaltener Waffe in der Hocke landet, dann ist das eine homage (französisch für „Diebstahl“) an Ghost, wo Major Motoko Kusanagi in genau der gleichen Haltung aufkommt.

Dann hätten wir noch Batman. Vor nicht zu langer Zeit lief mit The Dark Knight der jüngste Teil der Film-Serie an, die 1989 mit Batman begann. Angestoßen wurde das revival (englisch für „Diebstahl“) allerdings 1986 durch das Miller-Comic The Dark Knight Returns, aus dem sich der Film großzügig bediente. Miller war das egal:

Sure, they used my stuff — they used everybody’s stuff, but they used my stuff a lot — but they did it well, and that’s all I care about.

Selbst der Comic-Laie erkennt auf den ersten Blick, dass Returns sich nicht an die üblichen westlichen Konventionen hält. Kein Wunder, als einen der wichtigsten Einflüsse auf seine Arbeit nennt Miller das 7.000 Seiten lange Manga-Epos Lone Wolf and Cub von Goseki Kojima und Kazuo Koike. Der Rächer von Gotham verdankt seiner medialen Wiedergeburt zum Teil einer zwei Tausend Jahre alten japanischen Grafik-Tradition.

Der ganze Spaß läuft selbstverständlich auch umgekehrt ab.

Ghost in the Shell wäre ohne den Roman Neuromancer (1984) von William Gibson – dem Schöpfer des Wortes cyberspace – undenkbar. Gibson seinerseits wurde maßgeblich von dem Film Escape from New York (dt. Die Klapperschlange, warum auch immer) beeinflusst, der wiederum von dem Watergate-Skandal inspiriert wurde. Keine Kusanagi ohne Nixon.

Auch mit den Mangas ist das so eine Sache. Die Gelehrten streiten sich darüber, ob das ganze Genre nach dem Zweiten Weltkrieg aus eingeschleppten US-Comics hervorging oder ob diese „nur“ einen entscheidenden Einfluss hatten. So oder so sind auch sie eine Mischung aus amerikanischer und japanischer Kultur. Bei Animes ist die Situation sogar noch krasser. Der „Gott des Anime“, Osamu Tezuka, schuf seine Figuren wie folgt:

Seeking inspiration, he returned to the pre-war Disney cartoons that he loved as a child. Just like Mickey Mouse and Donald Duck, Tezuka’s animal and humans characters sported round heads with huge, expressive eyes.

Die riesigen runden Augen, die heute als ein Kennzeichen für japanische Comics gelten, kommen ursprünglich aus den USA. Inzwischen verderben beeinflussen natürlich Mangas ihrerseits die amerikanische Jugend, die verdächtig viel mit dem Begriff hentai anfangen kann.

Also: Ob Disney zu Tezuka, Kurasawa zu Lucas, Gibson zu Oshii oder Oshii zu den Wachowskis, die japanischen und amerikanischen Künstler spielen sich seit Jahrzehnten die Bälle über den Pazifik hin und her. Donovan spricht von einem intercultural feedback loop.

Die USA liegen dabei in der Schnittmenge von zwei großen Kulturräumen, die jeweils vom Westen über den Pazifik und vom Osten über den Atlantik reichen. Für den Film The Warriors (1979) über eine Jugend-Bande in New York greifen die Amis auf Anabasis von Xenophon aus der griechischen Antike zurück, für Ronin (1998) bemühen sie die 47 Ronin aus der japanischen Tradition. Auch die amerikanischen Ureinwohner leisten ihren Beitrag wie in Stephen Kings Pet Sematary und die Lateinamerikaner mit Dingen wie Desperado.

Sind Amerikaner damit fantasielose Minderbegabte, die zu keiner eigenen Kulturleistung fähig sind? Nur wenn auch Goethe ein Stümper war, weil er für Faust auf bekanntes Material zurückgriff und Schiller ein Plagiator, der Die Räuber bei Christian Friedrich Daniel Schubart abschrieb. Der „visuelle Shakespeare“ Kurosawa lieh sich seinerseits King Lear für Ran, MacBeth für Throne of Blood und Der Tod des Iwan Iljitsch für Ikiru. Die Kunst besteht darin, aus dem Bestehenden etwas Neues zu schaffen.

Denn Star Wars ist mit seinen hemdsärmeligen Rebellen und dem buckaneer Han Solo eindeutig ein amerikanischer Film, wie The Magnificent Seven als Western sowieso. Auch The Matrix mit seinen Anspielungen auf Alice in Wonderland (jetzt wieder die Version ohne Zombies) und amerikanischen Witzen hätte so nicht in Japan entstehen können:

Knock, knock, Neo.

Umgekehrt ist das Japanische nicht aus Ran wegzudenken. Es sind Synthesen.

Für die Europäer, die auf der anderen Seite des Planeten leben und wegen der ganzen Russen, Araber und Inder weniger Kontakt zu Ostasien haben, ist das meist schwer zu erkennen. Für sie sind Star Wars und The Matrix „typisch Hollywood“ und Mangas und Animes „typisch japanisch“. Dass die DNA dieser Werke riesige Abschnitte mit Material aus der jeweils anderen Kultur enthält, ist versteckt. Auch die wenigsten „Kulturschützer“ machen sich klar, dass der „amerikanische Kulturimperialismus“ auf diese Weise still und heimlich einen „japanischen Kulturimperialismus“ huckepack in die Welt trägt.

Nur manchmal macht sich der Genotyp unübersehbar im Phänotyp bemerkbar, wenn zum Beispiel ein Haufen amerikanischer Vampirjägerinnen plötzlich ihre europäischen Holzpflöcke wegwerfen und zum Katana greifen.

Wird der Wechsel irgendwo in Buffy erklärt? Bislang nicht, selbst nicht in den Folgen, in denen Buffys Schwester Dawn als Riesin in den Straßen von Tokio gegen eine Mecha-Dawn kämpft — Godzilla lässt grüßen. Unter amerikanischen Buffy-Fans scheint das alles kein Thema zu sein. Wie schon Deng Xiaoping sagte: Es ist egal, ob ein Schwert europäisch oder japanisch ist, so lange man damit Vampire töten kann.

[Danke an CHR für den Hintergrund zu Frank Miller, MLJ für Katana-Infos, DKS für den Hinweis auf die Clipper Ships und Schwesterlein Mein für Ghost Dog.]

[Geändert 08. Juni 2011: Ersetzt Blade, dessen Schwert streng genommen wohl nicht in die Gruppe gehört (nach einen Hinweis von CT), durch Highlander (zuerst vorgeschlagen von R); ändert durchgehend „die Katana“ in „das Katana“, auch nach einem Hinweis von R, vielen Dank.]