Indianer, Teil 4: Die Drei Schwestern, Mais und Ernährung

August 17, 2010

Der Pädagogische Gemüsegarten hat in diesem Jahr seine Aufgabe schon erfüllt: Der Nachwuchs schaut staunend an den drei (in Zahlen: 3) Mais-Pflanzen hoch, deren Samen sie vor wenigen Wochen selbst in die Erde gedrückt haben. So groß! So schnell gewachsen! Und wie bei den Indianern!

Nun, nicht ganz so, denn dieser Autor hat die Pflanzen erstmal „europäisch“ in eine Reihe gesetzt, des Platzes wegen. In einigen Jahren werden wir dann ein ganzes Beet freiräumen und Mais wirklich so anbauen, wie die Indianer es traditionell gemacht haben: Auf einem kleinen Erdhügel, zusammen mit Bohnen und Kürbissen (squash), nach dem Three-Sisters-Verfahren.

Bevor wir das genauer beschreiben, müssen wir kurz auf das Wort „traditionell“ eingehen. Mais gelangte von Mexiko aus spät in den Norden: Erst etwa im Jahr 1000 n.Chr. erreichte eine brauchbare Variante die Stämme an der Ostküste der heutigen USA. Da die zugehörigen Bohnenarten ein Jahrhundert nachhinkten, war das Dreiergespann knapp 400 Jahre alt, als Kolumbus die Neue Welt entdeckte [1].

Die Jahrtausende zuvor hatten sich die Indianer neben der Jagd mit einer Mischung aus verschiedenen Pflanzen am Leben gehalten, die alle weniger nahrhaft waren. Dazu gehörten chenopod (dt. offenbar Gänsefuß, lat. Chenopodium berlandieri) und maygrass (dt. Glanzgras, lat. Phalaris caroliniana). Die Drei Schwestern fegten diese etwa so hinweg, wie die peruanisch-chilenische Kartoffel sich bei den Deutschen durchsetzte. Zwei der ursprünglichen Pflanzen-Unterarten der Indianer sind inzwischen ausgestorben. Die bessere Ernährung durch Mais und Bohnen war eine Grundlage für die Blüte der Mississippi-Kultur, wie sie der Eroberer Hernando de Soto beschrieb.

Wirklich traditionell oder nicht, die Schwestern prägten so tief die Kultur der Indianer, dass viele Geschichten überliefert sind. Sie sind wunderbar kindertauglich:

Once upon a time very long ago, there were three sisters who lived together in a field. These sisters were quite different from one another in their size and also in their way of dressing. […] There was only one way in which the three sisters were alike. They loved one another very dearly, and they were never separated.

Und so weiter, mit einem kleinen Indianerjungen, der die Schwestern besuchen kommt und den sie ganz faszinierend finden. Die etwas praktischere Anleitung findet man inzwischen auch bei Samenverkäufern im Internet. Vereinfacht gesagt läuft das Verfahren so ab:

  1. Man errichte einen Hügel von etwa 30 cm Höhe und einem Durchmesser von 60 cm. Die Hügel sollten nicht näher als einen Meter beieinander stehen.
  2. Oben auf dem Hügel werden vier oder fünf Mais-Körner gepflanzt. Davon werden vielleicht zwei überleben (Faustregel: One for the cutworm, one for the crow, one to rot, and one to grow).
  3. Wenn die Maispflanzen 30 cm hoch sind – etwa zwei Wochen später – pflanzt man um sie herum die Bohnen, etwa auf der Hälfte der Anhöhe.
  4. Nach etwa einer weiteren Woche werden die Kürbisse in die flache Erde um den Hügel herum gepflanzt.

Dabei dient der Mais den Bohnen als Klettergerüst, die Bohnen reichern im Gegenzug die Erde mit Stickstoff an und die Kürbisse decken zur Unkrautbekämpfung den Boden ab. Die drei Pflanzen ergänzen sich in dieser Anordnung als Form des companion planting (Mischkultur) gegenseitig.

Die Indianer hatten natürlich keine Ahnung von Stickstoff. Was sie auch nicht wussten, ist dass dem Mais zwei Aminosäuren fehlen (Lysin und Tryptophan; an dem Problem wird gearbeitet), die wiederum in den Bohnen vorkommen. Sie wussten nur, dass die drei Pflanzen gut zusammen wuchsen und eine vollwertige Mahlzeit boten, die besser war als das bisherige Zeugs. Oder, wie das amerikanische Landwirtschaftsministerium USDA bei der Anlage eines People’s Garden begeistert schrieb:

It is a sophisticated, sustainable planting system that has provided long term soil fertility and a healthy diet to generations of American Indians.

Geschichtlich interessierte Amateurgärtner in den USA (und Kanada) pflanzen bis heute die Drei Schwestern. Als schonendes Anbauverfahren gehören diese zu den Paradebeispielen für die ökologische Landwirtschaft der Ureinwohner. In Europa kommt noch der Romantik-Bonus dazu: Wenn die Indianer das gemacht haben, dann muss es ja toll sein!

Dummerweise gibt es eine Gruppe von Leuten, die etwas die gute grüne Laune verdirbt: Die Experten. Sie raten davon ab, Mais und Bohnen so zu kombinieren, zumindest, wenn der Ertrag eine Rolle spielt.

Neither crop can reach its maximum potential.

Denn das Verfahren hat mehrere Nachteile. Während jede Pflanze in einer „europäischen“ Reihe ihr eigenes Stück Land bekommt, kämpfen bei den Drei Schwestern gleich mehrere – besser, ihre Wurzelsysteme – in der selben Erde um Wasser und Nährstoffe. Es erfordert viel Geschick und Wissen, um die Geschwister richtig aufeinander abzustimmen (daher das sophisticated in dem Satz des USDA). Anders formuliert, es geht leicht in die Hose. Vor lauter Kürbissen wird es irgendwann schwer, das restliche Unkraut zu jäten; überhaupt muss man mehr Zeit pro Pflanze aufwenden. Selbst in fruchtbaren Gebieten erhält man am Ende weniger Mais [Foto] pro Fläche. Die Ernte ist ein Albtraum, denn die Bohnen wickeln sich fest um den Mais.

Zumindest der letzte Punkt war kein Problem für die Indianer, die nicht daran dachten, das Gemüse frisch zu essen. So etwas tun nur komische Europäer. Die Schwestern wurden auf dem Feld gelassen, bis die Pflanzen ausgetrocknet waren und die Samen für den späteren Verzehr verarbeitet werden konnten (nicht vergessen, Mais muss mit einer Lauge behandeln werden). Entsprechend endet die Geschichte der Drei Schwestern im Winter, in der Küche:

The little sister in green, now quite grown up, was helping to keep the dinner pot full. The sister in yellow sat on the shelf drying herself, for she planned to fill the dinner pot later. The third sister joined them, ready to grind meal for the Indian boy.

Trotzdem bleibt die Frage, warum die Indianer das Verfahren benutzen. Wieso haben nicht auch sie Felder mit Reihen von Pflanzen angelegt und Mehrfelderwirtschaft betrieben – Mais in einem Jahr, Bohnen im nächsten und vielleicht zwischendurch das Land brach liegen lassen? Der Ertrag wäre höher gewesen und die Arbeit deutlich einfacher.

Weil weder ihre Technologie noch ihre Ressourcen das zuließen.

Man darf nicht vergessen: Die Indianer hatten vor der Ankunft der Europäer keine Metallwerkzeuge – keine Spaten, keine Äxte, keine Pflüge – und keine Nutztiere – keine Pferde, keine Ochsen, nicht einmal Schafe oder Hühner. Wenn man nur ein Grabstock, das Schulterblatt eines Bisons oder Steinwerkzeuge hat, gräbt sich die Erde nur schwer um, geschweige denn, dass man lange Furchen ziehen könnte. Allein mit Menschenkraft kam man auf vielen amerikanischen Böden nicht weit – die ersten Siedler auf den Great Plains benötigten bis zu 20 Zugtiere pro Pflug, um das dichte Wurzelsystem der Gräser zu durchbrechen. Und ohne Tiere fehlen auch einige der besten Düngemittel, nämlich das, was hinten aus ihnen herauskommt.

Die Drei Schwestern, so elegant und intelligent die Lösung ist, wurden aus der Not geboren. Damit konnten die Indianer ihre verfügbaren Mittel wenigstens auf die Hügel als Inseln der Fruchtbarkeit konzentrieren. Dadurch, dass man die selben Hügel mehrfach benutze, reicherte sich in der Erde mehr organische Materie an (das sustainable in dem Satz des USDA). Parallel dazu gingen natürlich die Nährstoffe zurück.

[Auch in den USA liest man noch die Behauptung, dass die Indianer in Neu-England Fische als Dünger in die Erdhügel steckten. Dem war nicht so: Der Indianer Squanto, der das 1621 den Pilgrim Fathers beibrachte, hatte den Trick ironischerweise während seiner europäischen Gefangenschaft gelernt. Die Indianer kannten das Prinzip der Düngung nicht und legten ein komplett neues Feld an, wenn der Boden erschöpft war.]

Insgesamt nennt der Evolutionsbiologe Jared Diamond fünf Gründe, warum die Ureinwohner Amerikas pro Mannstunde Arbeit weniger Kalorien und Protein zur Verfügung hatten (eigene Übersetzung) [1]:

  1. Abhängigkeit vom proteinarmen Mais, im Vergleich zu den in Europa verfügbaren Getreideformen.
  2. Samen mussten einzeln gesetzt werden, statt sie auf einer Fläche aussäen zu können.
  3. Alle Arbeiten mussten per Hand statt mit Pflug und Zugtieren ausgeführt werden.
  4. Das Fehlen von tierischem Dünger.
  5. Das Fehlen von Last- und Zugtieren für diverse andere landwirtschaftliche Aufgaben.

Die Drei Schwestern sind eine kluge, aber am Ende unzureichende Lösung für ein grundsätzliches Problem der Indianer: Bei der weltweiten Verteilung der Pflanzen- und Tierarten zog Nordamerika die Arschkarte. Die Ureinwohner im Süden hatten wenigstens Mais und Kartoffeln als Energielieferanten der Spitzenklasse. Selbst als der Mais endlich im Nordosten ankam – erst vor einem Jahrtausend – konnten die Indianer dort ihn nicht optimal nutzen. Zum Vergleich: In Südwest-Asien wurde Weizen 8500 v.Chr. angebaut (und gelangte 6000 bis 3500 v.Chr. nach Europa); Reis stand in Asien ab 7500 v.Chr zur Verfügung.

Ein solcher Rückstand ist nicht mehr aufzuholen, egal wie klug man seine Ressourcen einsetzt. Neben der Anfälligkeit für europäische Seuchen ist die weniger nützliche Pflanzen- und Tierwelt ein weiterer Grund, warum die Neue Welt 1492 so weit hinter der Alten zurücklag und ihr so wenig entgegenzusetzen hatte.

Im nächsten Eintrag werden wir uns sozusagen in Zeitraffer einen Überblick verschaffen, wie es bis heute mit den Indianern weiterging.

([1] Diamond, Jared Guns, Germs and Steel. A Short History of Everybody for the Last 13,000 Years Vintage, London 1998)