Thanksgiving ist nicht Erntedank

November 13, 2006

Nach Halloween kommt der nächste US-Feiertag auf uns zu: Thanksgiving, am vierten Donnerstag im November. Für uns ist am wichtigsten, was Thanksgiving nicht ist: Erntedank. Letzteres ist ein religiöser Feiertag, Thanksgiving ist dagegen weltlich.

Den Hintergrund haben wir bereits gestreift: Ein gemeinsames Fest der Pilgrim Fathers mit den Indianern im Jahr 1621. Die Wampanoag wurden eingeladen, weil sie den Kolonisten im Winter ausgeholfen hatten und ihnen beibrachten, wie man richtig Mais anbaut.

Es ist inzwischen ein Klischee, das als ziemlich blöde Idee darzustellen. Einige Indianer-Aktivisten begehen Thanksgiving sogar als „nationalen Trauertag“, obwohl Columbus Day eigentlich logischer wäre. Cineastisch gebildete Deutsche werden die Rede von Christina Ricci aus Addams Family Values kennen:

The gods of my tribe have spoken. They said do not trust the pilgrims, especially Sarah Miller. And for all of these reasons I have decided to scalp you and burn your village to the ground.

Ob die Szene eine Kritik an Thanksgiving oder nicht doch eher eine Parodie der Kritiker ist, sei dahingestellt. Indianer spielen auf jeden Fall nach den Erfahrungen dieses Autors beim europäischen Erntedank eine eher untergeordnete Rolle. Der Dank geht allein an Gott. Das war bei den Pilgrim Fathers ausdrücklich nicht so:

Although the event of 1621 is known today as the „First Thanksgiving,“ that harvest feast had many secular elements and would not have been considered a religious day of thanksgiving by the Pilgrims.

Da die Pilgrim Fathers religiöse Fanatiker waren, können wir natürlich davon ausgehen, dass sie bei jedem Aufstoßen an Gott gedacht haben. Klar ist auch, dass die europäischen Traditionen des Erntedank in Thanksgiving aufgegangen sind. In der Praxis gehen die religiösen Elemente allerdings nicht über ein Tischgebet hinaus.

Endgültig weltlich wurde Thanksgiving durch Abraham Lincoln, der es 1863 – also mitten im Bürgerkrieg – zum regelmäßigen nationalen Feiertag erklärte. In dieser Zeit soll sich auch die Besessenheit mit dem Truthahn gefestigt haben. Aus der Zubereitung ist inzwischen eine Wissenschaft geworden. Truthähne stammen übrigens aus der Neuen Welt und haben damit beim Erntedankfest eigentlich nichts zu suchen.

Im Laufe der Zeit haben sich in den USA eine Reihe von Bräuchen entwickelt, zu dem seit 80 Jahren (Stand: 2006) auch die Thanksgiving Parade von Macy’s in New York gehört. Für die Kette ist das Fest wichtig, weil der anschließende Freitag der Beginn der Haupteinkaufszeit für Weihnachten ist. Das ist eine weitere wichtige Funktion von Halloween und Thanksgiving: Es hält die amerikanischen Geschäfte von dem Irrsinn ab, schon Ende Oktober die erste Weihnachtsdekoration aufzuhängen.

Für einen großen Teil der US-Bevölkerung, insbesondere der männlichen, ist das aber alles Blödsinn.

Denn für wahre Männer sind Familientreffen und Truthahnessen nur schmückendes Beiwerk für die wirklich wichtigen Ereignisse des Tages: Seit etwa 100 Jahren wird an Thanksgiving der Turkey Day Game ausgetragen. Wir reden hier natürlich von American Football. Gespielt wird auf Highschool-Ebene wie bei den Profis. Die Dallas Cowboys sind seit 1966 mehr oder weniger durchgehend dabei.

Wir sollten am Ende darauf hinweisen, dass es tatsächlich einen Ort gibt, wo Thanksgiving nichts anderes als Erntedank ist: Kanada. Der Feiertag wurde 1957 eingeführt, mit dem Ziel:

a day of general thanksgiving to almighty God for the bountiful harvest with which Canada has been blessed

Gefeiert wird am zweiten Montag im Oktober, angeblich weil die Erntesaison im Norden kürzer ist. Aus US-Sicht ist allerdings klar: Die Kanadier haben den Feiertag schlicht kopiert und dann noch falsch. Typisch – erst die Revolution nicht mitmachen und dann so etwas.

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