Der interessierte Leser wird inzwischen mitbekommen haben, dass die Familie Stevenson eine eigene Nahrungskette hat: Die Schönste Germanin, eine begnadete Köchin, produziert erlesene Speisen, die dieser Autor, ein fleißiger Esser, dann konsumiert. Das ganze System ist wunderbar stabil.
Allerdings kommt es gelegentlich zu Ausreißern im Sinne von „wie, du wolltest selbst noch ein Stück Kuchen“, oder aber wenn es dieser Autor sich eines Abends in den Kopf setzt, dass man doch selbst Tortillas machen können müsste. Wie schwer kann das sein? Schließlich gibt es das Internet [YouTube, Rezept]!
Dazu muss man zunächst zwischen flour tortillas und corn tortillas unterscheiden. Wir erinnern uns, dass corn in den USA „Mais“ heißt. Mais-Tortillas, so der erste Gedanke, sind viel authentischer, und Mais-Mehl gibt es auch in Deutschland, wenn auch zu horrenden Preisen.
Allerdings stellt sich schnell heraus, dass man Mais-Mehl der nixtamalization unterziehen muss, weil sonst die Nährstoffe nur teilweise zugänglich sind. Der Vorgang wurde von den Azteken entdeckt, benötigt aber trotzdem überraschenderweise nicht literweise Menschenblut, sondern die Lauge Kalziumhydroxid. Als Mais nach Europa und Afrika gebracht wurde, wurde das Verfahren nicht mitgeliefert – was wissen schon die blöden Wilden? – und so kam es zu Mangelernährung.
Gut, Mais-Tortillas sind vielleicht nicht ganz so trivial. Man kann in Nordamerika bereits behandeltes Maismehl kaufen, die masa harina. Aber das ist in Deutschland vermutlich völlig unbezahlbar und auch irgendwie geschummelt.
Beim Weizenmehl sieht es besser aus:
3 cups unbleached flour
2 tsp. baking powder
1 tsp. salt
4-6 Tbsp. vegetable shortening or lard
about 1 1/4 cups warm water
(Es gibt auch kleinere Portionen mit einem etwas anderem Rezept; insbesondere wird weniger baking powder benutzt.)
Das Problem mit den Maßeinheiten und dem baking powder haben wir in unserem Eintrag über Chocolate Chip Cookies behandelt. Aber was ist denn vegetable shortening?
Ah, erklärt die Schönste Germanin, das ist ein pflanzliches Fett aus Ölen der Sojabohne und der Baumwoll-Samen, das es so in deutschen Haushalten nicht gibt. Die Ehrenwerte Mutter – also, die Ehrenwerte Schwiegermutter – habe als Ersatz Palmin empfohlen, was Kokosfett ist. Laut Wikipedia ist shortening „ungehärtetes Pflanzenfett“ und in Österreich als FriVissa im Handel. Der bekannteste Markenname in den USA ist Crisco, das es seit 1911 gibt.
Wenn sich jetzt der interessierte Leser, insbesondere der heterosexuelle Leser, fragt, woher plötzlich das alberne Gekichere kommt: Crisco hat in den USA einen Ruf als Gleitmittel. Nein, wir reden nicht von Rodelbahnen. In den 70er Jahren verdrängte es Vaseline in der homosexuellen Subkultur:
In fact, Crisco was so synonomus with gay sex that discos and bars around the world took on the name, such as Crisco Disco in New York City, which was one of the premiere clubs during the 1970s and early 1980s. Other clubs or bathhouses, such as Club Z in Seattle, even featured murals with Crisco. Thus, Crisco was conversely also one of many things that led to the formation of gay identities during the 20th century.
In diesem Zusammenhang wird gerne auf einen Werbespruch von Procter & Gamble hingewiesen: It’s digestible.
Seit dem Ausbruch von Aids wird allerdings vor der Verwendung von Crisco gewarnt, denn die Öle greifen Latex-Kondome an und machen es damit unsicher. Trotzdem, der Ruf ist etabliert, und so sollte man in den USA vorsichtig sein, wenn der Name auftaucht: Meist ist ein Witz nicht weit.
Schön und gut, aber was ist jetzt mit den Tortillas? Mit Kokosfett klappt es wunderbar, wenn man genug davon verwendet, die Pfanne richtig heiß ist und man die Dinger dünn genug macht. Es ist nicht schwer, aber schon eine Menge Arbeit, besonders wenn man nicht über Spezialgeräte wie eine tortilladora oder einen comal verfügt. Kein Wunder, dass die normale Hausfrau sich die Dinger im Supermarkt holt.
Was die Schönste Germanin natürlich von Anfang an vorgeschlagen hatte …