Humor, Teil 1: Jetzt mal im Ernst

Dezember 18, 2006

Vor vielen Jahren war dieser Autor als Teil einer anderen Karriere in einem Krankenhaus beschäftigt, als eine junge, gut aussehende Amerikanerin ohne jede Deutschkenntnisse mit einer Gallenblasenentzündung eingeliefert wurde. Die Operation war Routine, die Heilung verlief wunderbar. Allein, sie wurde trotzdem jeden Tag betrübter. Warum, das wollte sie zunächst auch ihrem Landsmann nicht sagen.

Erst kurz vor ihrer Entlassung gab sie sich einen Ruck und fragte ihn mit Tränen in den Augen und Händen, die sich im Bettzeug verkrallten, was sie denn wirklich habe. Es sei Krebs, nicht wahr? Sie habe Darmkrebs oder einen unheilbaren Tumor in der Gebärmutter und niemand traue sich, es ihr zu sagen. Auf die Frage, woher sie denn bloß diese Idee habe, erklärte sie: Die Ärzte, die Schwestern, die Pfleger, die Studenten, ja selbst die Putzfrauen seien immer so ernst.

Es wird Zeit, dass wir die ganzen lustigen Themen wie die Todesstrafe verlassen und uns mit Humor beschäftigen.

Warum das notwendig ist, sehen wir am vorherigen Satz. Ein Teil der interessierten Leser wird es „unangebracht“ oder sogar „nicht witzig“ finden, die Todesstrafe mit Spaß in Verbindung zu bringen. Ein anderer Teil wird die Ironie – das ist übrigens wenn man etwas sagt, aber etwas anderes meint – erkannt haben. Und noch ein weiterer Teil wird sich fragen, ob es ironisch gemeint ist, wenn in einem Satz über Ironie erklärt wird, was das ist.

Daran sehen wir auch warum es so schwierig ist, mit Deutschen über den angelsächsischen Humor zu reden: Wie Andrew Hammel in German Joys bemerkt, ist Humor in Deutschland inzwischen altersabhängig. Mindestens eine Generation ist mit Monty Python, South Park und den Blues Brothers groß geworden und lacht an Stellen mit, an denen ihre Eltern nur die Stirn runzeln. Zwar hakt es gerade bei der Ironie noch etwas, aber trotzdem können wir die Anglifizierung des deutschen Humors als einen der größten Siege des Kulturimperialismus verbuchen.

Unfug ist natürlich, dass Deutsche keinen Sinn für Humor haben. Guildo Horn und Stefan Raab haben dieses Vorurteil endgültig zerstört, vor Abermillionen stauender Menschen bei der Eurovision Song Contest. Und es ist auch nicht so, als ob der deutsche Humor nur eine Untermenge des englischen ist: Große Teile von Loriot und Otto lösen bei Amerikanern und Briten eher Verständnislosigkeit aus – they just don’t get it.

Nein, Humor hat einen festen Platz in der germanischen Kultur. Allerdings hat er gefälligst auch an diesem Platz zu bleiben: Es gibt jede Menge Situationen in Deutschland, an denen Witze eben „unangebracht“ oder „nicht witzig“ sind. Bei den Angelsachsen gibt es das praktisch nicht. Das ist das erste Thema dieser Reihe.

Hier lag auch das Problem der jungen Amerikanerin: Für sie war es völlig normal, dass ein Arzt, ausdrücklich auch ein Herr Halbgott Professor Doktor-Doktor Chefarzt persönlich, bei der Visite Scherze macht, schon allein um sie aufzumuntern, aber auch weil Angelsachsen das einfach so machen, überall und immer. Ernste Ärzte sind in den USA ein sehr, sehr schlechtes Zeichen, fast noch schlimmer als lächelnde Anwälte. Für deutsche Mediziner verbieten sich aber zu viele Witze, weil das heißen würde, dass man nicht richtig bei der Sache ist. Wer sich gerade einen Spruch überlegt, konzentriert sich nicht genug auf die eigentliche Arbeit.

Daher findet Humor in Deutschland in klar erkennbaren, eng umgrenzten Situationen statt, die zur Sicherheit oft noch mit einem Satz wie „Jetzt aber mal im Ernst“ angekündigt werden. Der Deutschland-Korrespondent der „London Times“, Roger Boyes, spricht deprimiert von den germanischen Humor-Ghettos. Ein Gegenstück dazu gibt es im Englischen nicht. Mehr noch, dieser Satz selbst wird als Witz verstanden, weswegen Briten und Amerikaner auch immer etwas verwirrt gucken, wenn der Gegenüber danach tatsächlich etwas Ernstes sagt.

Bei Angelsachsen kann Humor dagegen in (fast) jeder Situation auftauchen, auch in sehr ernsten. Briten, Amerikaner, Australier und Kanadier haben einen ungeheueren Respekt vor Leuten, die es schaffen, in schwierigen Situationen das richtige Wort zu finden.

Hierzulande kennt man das meist nur aus Filmen – wir sind wieder bei Trinitys Dodge this! in The Matrix – und halten es für ein Klischee. Tatsächlich handelt es sich aber um ein echtes kulturelles Ideal, ein enger Verwandter eines anderen Glaubensgrundsatzes, den Ernest Hemingway so formulierte: Courage is grace under pressure.

Nehmen wir das Attentat auf Ronald Reagan. Lebensgefährlich durch eine Kugel in der Lunge verletzt brachte er zwei Sätze heraus, die (wieder) zu Klassikern wurden: Honey, I forgot to duck sagte er seiner Frau Nancy und den Chirurgen I hope you’re all Republicans (der genaue Wortlaut ist umstritten). Egal was man von seiner Politik hielt, Reagans Haltung nach dem Attentat, diese Scherze als Beweis für seinen Mut, brachten ihm in der englischsprachigen Welt ungeheueren Respekt ein:

The grace and humor Reagan showed after the attempt to assassinate him in 1981 had, more than any other single event, added a mythical quality to his leadership, revealing his character in a way that made it almost impossible to dislike him.

(Man bemerke das grace and humor) Das Beispiel ist auch deswegen gut, weil es zeigt, wie groß die Kluft zwischen den Kulturen ist: Dieser Aspekt des Attentats ging eher spurlos an den Deutschen vorbei, die bis heute von „dem Schauspieler“ reden. Diese zwei Sprüche des Great Communicators waren in den USA ein fester Teil seiner Nachrufe, denn sie gelten als Teil seiner Hinterlassenschaft.

Deutsche verlangen zwar auch, dass ihre Politiker Mut beweisen und Haltung zeigen, wie man 2001 sah, als der CDU-Kandidat für Berlin, Frank Steffel, sich vor anfliegenden Eiern hinter Edmund Stoiber duckte. Aber es gibt keine Sonderpunkte für Humor. Niemand hat von Oskar Lafontaine oder Wolfgang Schäuble erwartet, dass sie nach ihren Attentaten etwas Geistreiches sagen.

Der größte Gegensatz besteht aber beim Militär. Soldaten wird in Deutschland kein Humor zugestanden, denn Krieg ist eine ernste Sache. Daher fallen deutsche Journalisten auch regelmäßig in Ohnmacht, wenn ein britischer oder amerikanischer Militärsprecher bei einer Pressekonferenz ein Bonmot macht. Wie menschenverachtend! heißt es dann gerne. Die nehmen das nicht ernst! Die verstehen überhaupt nicht, wie schrecklich Krieg ist!

Angelsachsen haben damit keine Probleme. Sie sehen es als Teil einer Tradition, die mindestens bis zu der Schlacht bei den Thermopylen in 480 v. Chr. zurückreicht. Auf die Warnung hin, dass die Pfeile der Perser die Sonne verdunkeln würden, soll der Spartaner Dienekes damals geantwortet haben: Fein, dann kämpfen wir im Schatten. Wichtig ist dabei nicht die Art des Humors – lakonisch, sarkastisch, ironisch – sondern dass man überhaupt welchen hat.

Ähnliche Sprüche von Angelsachsen werden daher auch liebevoll überliefert. Bei einem Seegefecht im Unabhängigkeitskrieg 1779 wies John Paul Jones die britische Aufforderung zur Kapitulation zurück: I have not yet begun to fight! (Jones gewann). Vor der Schlacht von Belleau im Ersten Weltkrieg antwortete der Offizier Lloyd Williams von den Marines auf den französischen Rat zum Rückzug: Retreat? Hell, we just got here! (Williams fiel). Der Pilot Donald Francis Mason funkte 1942 : Sighted sub, sank same. Bei der Schlacht von Leyte Gulf 1944 im Pazifik stolperte die japanische Flotte über einen kleinen US-Verband, der nur entkam, weil die Japaner den Angriff abbrachen. Das hinderte einen amerikanischen Funker nicht an dem Ausruf: Goddammit, boys, they’re getting away! Und als es in den 90er Jahren um die Frage von US-Bodentruppen in Bosnien ging, mimte Stabschef Colin Powell den pampigen Handwerker: We do deserts. We don’t do mountains.

Damit hätten wir hoffentlich den interessierten germanischen Leser so weit geimpft, dass er etwas verkraften kann, was ihm noch weniger behagen wird: Es gibt tatsächlich jede Menge Scherze vor Hinrichtungen. George Appel sagte 1928 auf dem elektrischen Stuhl in New York: Well, gentlemen, you are about to see a baked Appel. James French hatte 1966 in Oklahoma einen ähnlichen Gedanken, bevor er wegen Mordes getötet wurde: How about this for a headline for tomorrow’s paper? French fries. Robert Alton Harris, auch ein Mörder, dichtete in der kalifornischen Gaskammer 1992:

You can be a king or a street sweeper
But everyone dances with the Grim Reaper.

Es sind wieder nicht nur die Amerikaner. Der irische Patriot Erskine Childers riet 1922 seinem Erschießungskommando spöttisch, doch lieber einen Schritt näher heranzukommen. Und um zu zeigen, dass es keine Hollywood-inspirierte Marotte der Neuzeit ist, haben wir noch Sir Walter Raleigh. Vor seiner Enthauptung 1618 gab es eine Diskussion darüber, von welcher Seite er seinen Kopf am besten auf den Bock des Scharfrichters legten sollte. Sein Kommentar: So the heart be right, it is no matter which way the head lieth (lieth altertümlich für „liegt“).

Wir haben uns jetzt Extremsituationen angeschaut – Krankheit, Krieg, Tod – weil sie einprägsam sind und der Kontrast am größten ist. Humor taucht aber auch ohne pressure und getrennt von grace auf. Er zieht sich durch jeden Aspekt des angelsächsischen Alltags, von Witzen mit dem Briefträger über Scherze mit der Bedienung im Restaurant zu Geschmunzel während Geschäftssitzungen. Er ist die Würze beim small talk. Humor ist ein ständiger Begleiter und seine tägliche Pflege zu allen Gelegenheiten eine Art übernationales Gemeinschaftsprojekt von Raleighs kulturellen Erben.

Und damit gehört er auch zu den Dingen, die Angelsachsen am meisten in Deutschland vermissen: Dort gehen den Leuten ständige Wortspiele und dauernde Witze eher auf die Nerven. Ernste Dinge werden ernst gesagt. Während bei Amerikanern und Briten die Verpackung – der Humor – nichts mit dem Inhalt – der Botschaft – zu tun haben muss, bekommt man bei den Germanen das, was man hört. Diesen Unterschied kennen wir schon in etwas anderer Form.

Bevor jetzt ein Unglück geschieht, sollten wir ausdrücklich festhalten, dass Humor bei den Amerikanern aber nicht in wirklich jeder Situation angebracht ist. Neil Armstrong hätte sich bei der Mondlandung viel Ärger eingefangen, wenn er bei dem berühmten ersten Schritt etwas gesagt hätte wie Oh crap, I just remembered I left the light on in the bathroom. So einfach ist das auch wieder nicht.

Trotzdem wird man als Deutscher oft genug in Situationen kommen, in denen man nicht wirklich glaubt, was man da hört. Es empfehlt sich, trotzdem höflich mitzulächeln: Wie wir in der nächsten Folge sehen werden, ist Humor für Angelsachsen zusätzlich noch ein Zeichen von Intelligenz und Scharfsinn. Man sollte daher zeigen, dass man den Witz als solches erkannt hat, auch wenn man den angelsächsischen Humor nicht unbedingt teilen muss.

Denn das kann nun wirklich keiner ernsthaft verlangen.

(Danke an DKS für einige der angegebenen Beispiele und an die Ehrenwerten Eltern für viele gelebte.)

(Ergänzt 21. Dez 2006: Weiterer Satz nach Dienekes-Zitat um Missverständnisse zu verhindern. Danke an LL)