Liebe Briten, Euer Tee schwimmt im Hafen: Steuern und Mitbestimmung

Dezember 6, 2006

Im Jahr 1763 stand Großbritannien vor einem Problem. Der Sieg über Frankreich im Siebenjährigen Krieg hatte der Krone Kanada und die Gebiete um das heutige Ohio gebracht. Aber der Erzfeind saß noch in Louisiana und konnte von dort aus wieder zuschlagen. Außerdem gab es ständig Indianerüberfälle. Benötigt, so entschied man in London, wurde ein stehendes Heer von 10.000 Soldaten, um die Kolonien in Nordamerika zu schützen [1]. Dafür sollten diese dann auch bitteschön selbst zahlen, denn die Krone war nach dem Krieg pleite.

Die Kolonien waren schockiert – das hatte es noch nie gegeben. Ein stehendes Heer in Friedenszeiten galt als Werkzeug der Tyrannei und war in Großbritannien selbst nach dem englischen Bill of Rights von 1689 verboten. Fast noch ungeheuerlicher waren die Steuern, den bislang hatten die Kolonien keinerlei Abgaben an das Mutterland gezahlt. Über die örtlichen Steuern entschieden die gewählten Vertreter in den Kolonien und deren Gemeinden. Das war schon seit Generationen so.

Die Kolonialisten, obwohl inzwischen schon zu zwei Fünfteln nicht mehr britischer Abstammung [2], beriefen sich daher auf das Grundrecht jedes Engländers, dass nur sein gewählter Vertreter ihm Steuern auferlegen dürfe. Nach Jonathan Mayhew und James Otis wurde das zu einer Kampfparole zusammenfasst: No taxation without representation!

Dummes Zeug, erwiderte London. Die Kolonien seien im Parlament „virtuell“ vertreten, auch wenn sie keine Abgeordneten stellten. Und überhaupt sollten die Amerikaner ihrem Mutterland lieber auf Knien für den Schutz vor den bösen Franzosen und barbarischen Indianern danken. Geld her!

Der Rest der Geschichte ist bekannt. Aufgebrachte Bürger von Boston verkleideten sich (nicht sehr überzeugend) als Indianer und schmissen versteuerten Tee in den Hafen der Stadt, die berühmte Boston Tea Party. Das empörte britische Parlament schickte Truppen. Bei Lexington und Concord kam es am 19. April 1775 zu den ersten Gefechten zwischen ihnen und der Miliz von Massachusetts. Ein paar Jahre später hatte Großbritannien aus vergleichsweise dämlichen Gründen seine wichtigsten Kolonien verloren.

No taxation without representation kann man allgemeiner formulieren: Wer zahlt, muss mitbestimmen dürfen. Es ist bis heute eines der zentralen Prinzipien der amerikanischen Politik und Gesellschaft.

Es ist der Grund, warum Steuern wie die school tax gezielt und getrennt erhoben werden statt wie in Deutschland in einem großen Batzen. Die Volksbefragungen zur Finanzierung von öffentlichen Projekten gehen auf dieses Prinzip zurück. Es ist der Grund, warum amerikanischen Studenten bei der Anstellung von Professoren mitentscheiden und auch ein Grund, warum die USA als größter Beitragszahler der Vereinten Nationen so wenig Geduld mit der Korruption dort haben. Es ist der Grund, warum amerikanische Aktionäre so viel Mitspracherecht im Sinne des shareholder value verlangen im Vergleich zu ihren Kollegen in Deutschland oder gar Japan.

Es erklärt auch einige Vorfälle, deren Bedeutung in Europa nicht immer verstanden wird. Während des Vorwahlkampfs der Republikaner für das Präsidentenamt 1980 veranstaltete der damalige Gouverneur von Kalifornien, ein ehemaliger Gewerkschaftsführer namens Ronald Reagan, eine Fernsehdebatte. Als es organisatorische Schwierigkeiten gab und der Moderator ihm das Mikrophon abstellen wollte, fuhr ihn Reagan mit einem inzwischen legendären Satz an: I paid for that microphone! Reagan selbst schloss nicht aus, dass dieser eine Satz ihn zum Präsidentschaftskandidaten machte.

Diese Einstellung bringt Amerikaner bis heute in Konflikt mit Institutionen, die eine solche Mitbestimmung ablehnen. Als Reaktion auf den Kindersex-Skandal der Katholischen Kirche wurden in den USA zum Beispiel auch Rufe nach tief greifenden Reformen des ganzen Finanzsystems laut. In den Forderungen der Laiengruppe Voice of the Faithful heißt es zu den Prinzipien, nach denen über das Geld der Kirche verfügt wird:

These principles are based on the premise that the assets of the Church are trust property for the benefit of its whole community. It is, therefore, only fair that the community should participate in the administration of those assets and be informed about transactions involving those assets.

Davon will die Katholische Kirche nichts wissen – die Finanzen der Kirche offen legen? Die Gläubigen mitentscheiden lassen, was mit ihrem Geld geschieht? Undenkbar. Die Forderungen nach Finanzreformen seien eine Folge der „Säkularisierung“ in den USA, heißt es offiziell.

Amerikaner ihrerseits finden viele Strukturen in Europa unverständlich, angefangen mit der Europäischen Union. Warum darf das Europäische Parlament, das ja die Vertretung der Leute sein soll, die am Ende für den ganzen Spaß aufkommen, noch nicht einmal Gesetze vorschlagen? Auch in der neuen Verfassung soll das Parlament kein Initiativrecht haben. Dass die Franzosen das Ding abgelehnt haben, wird als beruhigendes Zeichen gesehen, dass die gemeinsamen Ideal von früher doch nicht ganz vergessen worden sind.

Es ist allerdings zu einfach, die gesamte amerikanische Mentalität beim Umgang mit Geld auf dieses eine Prinzip zu reduzieren. Am Marshall-Plan 1947 waren im nachhinein erstaunlich wenige Bedingungen geknüpft. US-Bürger und amerikanische Privatorganisationen spendeten 2004 etwa 71 Milliarden Dollar [PDF] allein an internationaler Hilfe (zum Vergleich: Die US-Regierung gab im gleichen Zeitraum 20 Milliarden Dollar dafür aus, die Bundesregierung auf vergleichbarer Basis 7,5 Milliarden Dollar). Spenden ist ohnehin so etwas wie ein nationales Hobby der Amerikaner, die darin weltweit führen:

Americans per capita individually give about three and a half times more money per year than the French per capita, seven times more than the Germans and 14 times more than the Italians.

Wie in Deutschland suchen sich diese Spender Projekte aus, die ihnen gefallen, ohne gleich in jedem Dorfrat sitzen oder entscheiden zu wollen, welche Farbe die nach einem Tsunami wiederaufgebauten Häuser haben müssen. Es sind freiwillige Abgaben.

Es bleibt aber dabei: Wer als Institution eine finanzielle Beteiligung der Amerikaner verlangt, ob UNO, Weltbank, IWF, Kirche, Bund, Bundesstaat, Landkreis, Stadt oder Schulbezirk, muss grundsätzlich damit rechnen, dass es einen Preis dafür geben wird: Mitbestimmung. Die können sonst richtig patzig werden.

Die Briten können ein Lied davon singen. Es heißt The World Turned Upside Down und wurde angeblich bei der Kapitulation der britischen Streitkräfte 1781 in Yorktown gespielt.

([1] „The March of Folly“, Barbara Tuchman, Ballantine Books, New York 1984, ISBN 0-345-30823-9; [2] „American Beliefs. What Keeps a Big Country and a Diverse People United.” John Harmon McElroy, Ivan R. Dee 1999, ISBN 1-56663-314-1. Zahlen zu Spendevolumen gefunden über Davids Medienkritik.)

(Geändert 10. Dez 2006: Fachbegriff „Entwicklungshilfe“ durch das allgemeinere „internationale Hilfe“ ersetzt, Danke an JW)

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