Drei Bemerkungen zur Todesstrafe in den USA

August 20, 2006

Die netten Leute von Udo Vetters Law Blog haben letztens über die Strafe diskutiert, die Mel Gibson für seine Trunkenfahrt bekommen hat: Drei Jahre auf Bewährung. Und wie immer wenn Deutsche über US-Recht sprechen, landete die Diskussion am Ende bei der Todesstrafe. Ein netter Mensch verwies allgemein auf dieses Blog, und so fühlt sich dieser Autor verpflichtet, früher als eigentlich vorgesehen etwas über capital punishment zu schreiben. Wir sind hier ja proaktiv serviceorientiert, oder wie das auch immer heißt.

Weil es aber doch etwas über’s Knie gebrochen ist, werden wir zunächst nur drei Punkte behandeln: Wo es die Todesstrafe gibt, warum es sie gibt und die Rassenfrage.

Fangen wir mit den einfachen Dingen an: „Die USA“ haben keine Todesstrafe. Wie wir in einem anderen Zusammenhang gesehen haben, sind die USA eher ein Staatenbund im Sinne der EU als eine Bundesrepublik wie Deutschland. Jeder Bundesstaat hat sein eigenes Rechtssystem und entscheidet damit auch selbstständig, ob er Verbrecher hinrichtet oder nicht. Der Bund hat kein Recht, in diese Entscheidung einzugreifen.

Einige Teile der USA haben daher auch sehr viel länger keine Todesstrafe als Deutschland (Westen letzte Hinrichtung 1949, Osten offenbar 1981), Frankreich (abgeschafft 1981, aus der Verfassung gestrichen 2007) oder Großbritannien (größtenteils abgeschafft 1969, gänzlich 1998). Die erste englischsprachige Regierung der Welt, die die Todesstrafe abschaffte, war die von Michigan. Dort ist noch nie jemand hingerichtet worden, seit der Gründung des Bundesstaates 1837 nicht. Wisconsin untersagte Exekutionen 1853, Maine 1887, Minnesota 1911. Hessen hat dagegen übrigens bis heute die Todesstrafe in der Verfassung, das Grundgesetz verhindert allerdings die Anwendung.

(Aber warum steht dann in Medienberichten, dass die USA die Todesstrafe 1976 „wieder eingeführt“ oder „wieder zugelassen“ hätten? Tatsächlich hatte das Oberste Gericht 1972 in Furman vs Georgia ein Stopp der Hinrichtungen verfügt. Das geschah aber nicht aus grundsätzlichen Erwägungen, sondern weil es mit der Art unglücklich war, wie uneinheitlich sie angewandt wurde. Richter Potter Stewart schreib dazu:

I simply conclude that the Eighth and Fourteenth Amendments cannot tolerate the infliction of a sentence of death under legal systems that permit this unique penalty to be so wantonly and so freakishly imposed.

(Der Achte Verfassungszusatz verbietet unter anderem „grausame und ungewöhnliche Bestrafungen“. Der 14. Zusatz besagt, dass dies auch für die Verfassungen der Bundesstaaten gilt.)

Die Bundesstaaten änderten daraufhin ihre Gesetze, und in Gregg vs Georgia befand das Gericht dann 1976:

The punishment of death for the crime of murder does not, under all circumstances, violate the Eighth and Fourteenth Amendments.

Auch Stewart schloss sich dieser Meinung an. Es bleibt dabei, dass der Bund sich nicht einmischen darf.)

Wer also fordert, „die USA“ müssten die Todesstrafe abschaffen, zeigt erstmal, dass er die Struktur des Landes nicht verstanden hat. Die professionellen Gegner der Todesstrafe wissen das und gehen differenzierter vor. Alle Petitionen an den US-Präsidenten, bestimmte verurteilten Mörder zu begnadigen, sind damit kontraproduktiv, weil sie nur zeigen, dass die Unterzeichner sich nicht ernsthaft mit dem Fall beschäftigt haben können. Der Gouverneur des Bundesstaates ist der richtige Adressat.

Im Moment haben 38 der 50 Bundesstaaten [PNG] die death penalty (August 2006). Darin sind auch die Staaten enthalten, die sie nicht mehr anwenden. Der Bund kennt auch Vergehen, die mit dem Tode bestraft werden können (viele davon gehen auf Bill Clinton zurück) und auch im Militärrecht gibt es die Todesstrafe, was im Fall Haditha wichtig sein könnte. Der Regierungsbezirk District of Columbia hat sie nicht, Puerto Rico auch nicht. Wir werden diese und andere Sonderfälle für ein anderes Mal aufheben. Wenden wir uns stattdessen dem zweiten Punkt zu: Warum haben diese 38 Bundesstaaten die Todesstrafe?

Auch das ist einfach: Weil die Mehrheit der dortigen Bevölkerung sie haben will und die USA eine Demokratie sind.

Zum Beispiel werden die Bürger von Wisconsin im November per Referendum gefragt, ob sie nach 153 Jahren ohne Hinrichtung die Todesstrafe einführen wollen. In New Mexico ist es Medien zufolge der Druck der Bevölkerung, der eine Abschaffung undenkbar macht – der Gouverneur gilt übrigens als Präsidentschaftskandidat. Insgesamt befürworten 65 Prozent der US-Bürger [PDF] (Juli 2006) die Todesstrafe in der einen oder anderen Form.

Druck aus der Bevölkerung gibt es nicht nur in den USA. Offenbar traut man sich in Hessen nicht, die Todesstrafe aus der Verfassung zu streichen, weil man eine Niederlage in dem dafür notwenigen Referendum fürchtet. Wegen der starken direkten Demokratie in den USA und weil die Politiker direkt gewählt werden, haben die Bürger aber dort vergleichsweise mehr zu sagen. Und in vielen Bundesstaaten sagen sie: Mörder sollen sterben.

Damit ist auch klar, wann die Todesstrafe in den USA abgeschafft werden wird: Wenn die Bürger der jeweiligen Bundesstaaten sie nicht mehr haben wollen. Nicht früher und nicht später.

Viele deutsche Gegner der Todesstrafe tun sich mit dieser Antwort schwer, ganz so, als ob sie dagegen sind, dem Volk wichtige Entscheidungen zu überlassen. Demokratie ja, aber doch bitte nicht bei so etwas! Und auch Amnesty International scheint von der Mitbestimmung des Volkes nicht viel zu halten:

The decision to abolish the death penalty has to be taken by government officals and legislators. The decision can be taken even though the majority of the public favor the death penalty, which indeed has historically almost always been the case.

In anderen Staaten mag man den Volkswillen so ignorieren können, aber wegen der Direktwahl ist das in den USA politischer, nun, Selbstmord. Amerikanische Bürgerrechtsgruppen wie die mächtige American Civil Liberties Union (ACLU) setzen bei ihrer Arbeit daher auch an der Basis an: Gegner der Todesstrafe sollen nicht nur an ihre Abgeordneten schreiben, sondern auch:

Tell a Friend (or ten). Friends have a great impact on other friends. If you educate and motivate one of your friends, that person may become passionate about some of the same issues you are, and this will allow you both to work towards protecting our civil liberties.

Das Ziel ist es, die Meinung des Volkes zu ändern, weil das aus amerikanischer Sicht die korrekte Vorgehensweise in einer Demokratie ist. Auch das kennt man in Deutschland: In Bayern führte 1998 ein Referendum zur Streichung der Todesstrafe aus der Verfassung des Freistaates.

Tatsächlich sinkt in den USA die Zustimmung zur Todesstrafe seit Jahren kontinuierlich. Hintergrund ist insbesondere die Alternative einer lebenslangen Haft ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung (life without parole), die inzwischen in 37 der 38 Bundesstaaten mit Hinrichtungen möglich ist. In der oben zitierten landesweiten Umfrage sank auch die Zustimmung zur Todesstrafe auf 50 Prozent, wenn dies als Alternative angeboten wurde. Für diesen „Kompromiss“ machen sich auch zum Teil die Medien stark.

Damit sind wir bei dem dritten Punkt, der Rasse.

Bei Diskussionen über die Todesstrafe in den USA wird in Deutschland meist irgendwann behauptet, das System sei rassistisch. Das Argument lautet dabei etwa so: Von den Hingerichteten sind 34 Prozent Schwarze, aber Schwarze machen nur zwölf Prozent der US-Bevölkerung aus.

Nach dieser Logik gäbe es aber ein sehr viel gravierenderes Problem: Von 1976 bis heute waren 99 Prozent der Hingerichteten Männer (um genau zu sein wurden sechs Frauen getötet, zuletzt Frances Elaine Newton in Texas). Der Frauenanteil in den Todeszellen beträgt weniger als zwei Prozent, aber mehr als die Hälfte der US-Bürger sind Frauen.

In beiden Fällen ist der Denkfehler gleich: Die Annahme, dass alle Bevölkerungsgruppen gleich viele Verbrechen verüben. Es ist aber so, dass Männer mehr Gewaltverbrechen begehen als Frauen und – auch wenn es in Deutschland als politisch inkorrekt gilt, es anzusprechen – Schwarze in den USA nun mal mehr als Weiße. Von 1976 bis 2004 wurden etwa 59 Prozent aller Morde (felony murders) in den USA von Schwarzen begangen.

Im Gegenteil ist es statistisch gesehen also wahrscheinlicher, dass ein verurteilter weißer Mörder in den USA hingerichtet wird als ein schwarzer. Damit wäre das System natürlich immer noch rassistisch, aber dieser Autor hat die Erfahrung gemacht, dass Deutsche sich bei dieser Variante unwohl zu fühlen scheinen, warum auch immer.

(Übrigens werden Mörderinnen tatsächlich wesentlich seltener hingerichtet als ihre männlichen Kollegen, aber das lassen wir jetzt.)

Damit nicht der falsche Eindruck entsteht: Auch 43 Prozent der Mordopfer in den USA sind Schwarze. Dabei werden 94 Prozent aller ermordeten Schwarzen von anderen Schwarzen getötet, Weiße in 86 Prozent der Fälle von anderen Weißen – gemordet wird innerhalb der eigenen Rasse, egal, was man im Fernsehen sieht.

Die eigentliche Frage bei unserem dritten Punkt lautet also, warum schwarze Amerikaner so viel häufiger Gewaltverbrechen begehen und deren Opfer sind. Dies ist eines der wichtigsten Probleme, vor denen die USA im Moment stehen, und damit nicht mehr Gegenstand dieses Eintrags.

In den USA selbst ist man auch von der Betrachtung des Täters bei der Frage von Rassismus bei Hinrichtungen eher abkommen. Denn viel stärker wird die Kritik an dem System, wenn man von der Rasse des Opfers ausgeht: Studien weisen darauf hin, dass die Mörder von Weißen überproportional häufig hingerichtet [PDF] werden, egal welcher Rasse sie selbst angehören:

In 1990, the US General Accounting Office reviewed 28 such studies that had been conducted around the country. It concluded that „in 82% of the studies, race of victim was found to influence the likelihood of being charged with capital murder or receiving a death sentence, i.e., those who murdered whites were found to be more likely to be sentenced to death than those who murdered blacks. […]“

Da der überwiegende Anteil der Morde an Weißen von Weißen begangen werden, würde das System damit wieder Weiße diskriminieren, denn sie würden für das gleiche Verbrechen eher hingerichtet. Außer natürlich, man sieht den Sinn in der Todesstrafe darin, das Opfer zu rächen. Dann würden die Schwarzen benachteiligt, weil ihnen weniger Vergeltung zuteil wird. Die Entscheidung darüber bleibt dem interessierten Leser überlassen.

Bei diesen drei Punkten wollen wir es erstmal belassen: Die Faszination der Deutschen mit der Todesstrafe in den USA (verglichen mit, sagen wir mal, in Japan mit seinem nach deutschem Vorbild aufgebauten Rechtssystem) ist legendär und bietet noch Stoff für viele, viele weitere Einträge. Wobei wir für Gibson hoffen, dass er nicht immer der Anlass sein wird.

[Überarbeitet 18. April 2007. Ergänzt 4. Juni 2007 Link zur GAO-Studie, Danke an AB]