Amerikaner und Fußball (und etwas American Football)

Juni 18, 2006

Die Schönste Germanin hat wiederholt erklärt, dass dieser Blog sich doch einmal mit der Fußball-WM beschäftigen sollte. Die Einwände dieses Autors, dass er sich nur marginal dafür interessiert und viel lieber über etwas ur-amerikanisches wie den Superbowl schreiben würde, sieht sie nur als Bestätigung der dringenden Notwendigkeit. Auch den Hinweis, dass schon andere,
prominentere Blogger über die WM schreiben, lässt sie nicht gelten.

Also, aus aktuellem Anlass ein Eintrag über Fußball in den USA. Seufz.

Fußball – genauer, soccer – war früher in den USA unbekannt, eine exotische Sportart aus fremden Ländern, ähnlich wie dieses komische Spiel, das berittene Afghanen mit Tierkadavern treiben. Das ist nicht mehr so. Im Jahr 2003 gab es rund 18 Millionen Aktive und damit drei Mal so viele wie selbst der DFB Mitglieder hat. Der Begriff soccer mom – die Spießermutter der oberen Mittelschicht, die ihre Kinder artig zum Fußball fährt – zeigt zudem, wie sehr Fußball inzwischen Teil der amerikanischen Gesellschaft geworden ist. Soccer ist die beliebteste Sportart an amerikanischen Universitäten, mit einer Teilnehmerzahl, die seit 1990 um fast 200 Prozent zugenommen hat – bei den Frauen zumindest.

Es gibt auch echte Ligen, wie in den USA üblich allerdings ohne Auf- oder Abstieg und die Mannschaften haben auch nicht brave Namen wie in Europa, sondern heißen New Jersey Wildcats oder Minnesota Thunder. Es ist auch nicht so, dass die amerikanischen Spieler schlecht sind, auch wenn in dieser WM die Vorrunde wieder einmal Endstation sein könnte: Die USA waren immerhin zwei Mal Weltmeister (1991 und 1999) und zweimal Olympiasieger (1996 und 2004) – bei den Frauen.

Das ist einer der wichtigsten Unterschiede: In den USA ist Fußball keine Männerdomäne, der Frauenanteil liegt bei 40 Prozent. Frauenfußball findet dabei auch nicht wie in Europa fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Zum Endspiel USA gegen China im Jahre 1999 kamen 90.000 Zuschauer. Die WM 2003 fand auch in den USA statt, aber da das Turnier wegen des SARS-Ausbruchs in China in letzter Minute verlegt wurde, sind die Besucherzahlen für das Finale – immerhin 26.000 für Deutschland gegen Schweden – vielleicht nicht repräsentativ. Ja, Deutschland wurde Weltmeister.

Also. Millionen Amerikaner spielen selbst Fußball und die Frauen gehören zur Weltklasse. Die Männer haben sich immerhin für die WM qualifiziert und Italien – Italien! – gestern ein Unentschieden abgetrotzt. Aber wo bleibt die Begeisterung? Wo bleiben die Fernsehzuschauer und mit ihnen das große Geld? Warum steht das Land nicht wie die meisten westlichen Staaten vier Wochen still, weil alle an den Fernsehern kleben?

Als Zuschauersportart hat Fußball in den USA echte Probleme. Amerikaner wollen keine Sportart sehen, bei dem die Spiele regelmäßig unentschieden und oft sogar völlig torlos ausgehen. Die daraus entstandene Mentalität bei den Spielern – „ein Punkt ist auch schon etwas“ und ähnliche Sprüche – verbietet sich ihrer Ansicht nach bei so einem Gehalt. Hier ist win or die trying gefragt. Dass es beim Fußball keine echte Spielzeit gibt und es deswegen den Spielern frei steht, durch alle möglichen Tricks – besonders durch endloses Winseln auf dem Rasen nach (angeblichen) Fouls – Zeit zu schinden, wird nicht verstanden. Europäische Fußballzuschauer tolerieren zudem einen Anteil von Fehlentscheidungen, der in den USA Amokläufe auslösen würde. Nicht umsonst hat American Football gleich sieben spezialisierte Schiedsrichter und die Möglichkeit, per Videobeweis deren Entscheidungen anzufechten.

Hart, aber wahr: Fußball gilt im Vergleich zu den vier klassischen US-Sportarten American Football, Baseball, Basketball und Eishockey schlicht als langweilig. Sehr gut zum selberspielen, besonders für Kinder, aber nichts für den Fernseher. Am brutalsten fasste es vielleicht die „New York Times“ zur WM 1994 zusammen:

Americans teach their children to play soccer until they’re old enough to learn something more interesting.

Der größte Widersacher auf dem Bildschirm dürfte American Football sein. Football ist nur etwas weniger kompliziert als Schach – zum Beispiel dürfen nur bestimmte Spieler der Angriffsmannschaft überhaupt den Ball fangen. Es ist unter anderem diese Komplexität, die Football so spannend macht. Die Fußball-Regeln und erst recht die Fußball-Taktik wirken im Vergleich bestenfalls schlicht, etwa wie Dame, um bei Brettspielen zu bleiben.

Man kann die weltweite Situation nämlich auch so darstellen: Fußball ist dort eine Zuschauersportart, wo kein Football gezeigt wird. Etwas frech, sicher, aber wahr. Damit sind übrigens nicht nur die USA gemeint, da die Kanadier auch eine Variante namens Canadian Football spielen. Daher lautet die Frage nicht, warum die Amerikaner kein Fußball gucken, sondern warum Nicht-Amerikaner (und Nicht-Kanadier) kaum Football schauen.

Besagte Regeln sind das größte Problem: Was Football faszinierend macht, macht den Zugang auch schwer. Wer die Grundprinzipien nicht mit der Muttermilch aufgesogen oder sie – bei einer extremen Soccer Mom – nicht zumindest auf dem Spielplatz gelernt hat, muss erstmal richtig büffeln. Wer davor keine Angst hat, muss dann immer noch eine Möglichkeit finden, ein Spiel zu sehen.

Das war lange Zeit in Deutschland unmöglich, wie dieser Autor aus leidvoller Erfahrung berichten kann. Inzwischen ist das anders. Die meisten Deutschen wissen zwar nicht, dass es eine einheimische Football-Liga gibt, die German Football League (GFL), natürlich mit Auf- und Abstieg, wie sich das für Europa gehört. Der American Football Verband Deutschland (AFVD) hatte nach eigenen Angaben im Januar 2005 aber immerhin etwa 24.000 Mitglieder und damit fast so viele wie der Deutsche Fechterbund. Der jährliche Zuwachs betrug etwa sieben Prozent.

Das sind die Leute, die spielen. Uns interessieren aber die Leute, die zuschauen. Zum Endspiel der GFL, dem German Bowl 2005 in Hannover, kamen knapp 20.000 Zuschauer, zum Endspiel der NFL Europe, dem World Bowl in Düsseldorf, etwas mehr als 36.000. Trotz ihres Namens ist die NFL Europe dabei eigentlich eine deutsche Liga: Von den sechs Mannschaften stammen nur noch die Amsterdam Admirals aus dem Ausland. Dass diese beim World Bowl von Frankfurt Galaxy besiegt wurden, beweist übrigens wohl hinreichend, dass gewisse Grundprinzipien quer über alle Sportarten hinweg gültig sind.

Eigentlich wäre es interessant zu wissen, wie viele Deutsche im Fernsehen Football gucken würden, wenn sie es nur könnten. Dazu müssten entweder die GFL-Spiele flächendeckend übertragen werden oder aber die NFL Europe aufhören, ihre Partien auf Bezahlsendern zu verstecken. Es gibt zwar in jeder größeren Stadt Superbowl-Partys, aber verständlicherweise sind die wenigsten Deutschen bereit, dafür bis vier Uhr Morgens aufzubleiben, auch wenn es nur einmal im Jahr ist.

Jetzt sind wir doch beim American Football und dem Superbowl gelandet. Wenn das die Schönste Germanin sieht. Schnell von Football in Deutschland zurück zu Fußball in den USA –

Wie wird es da weitergehen? Die Zahl der Aktiven wird mit Sicherheit zunehmen, schon allein weil die Zahl der Amerikaner weiter zunimmt. Das sind gute Nachrichten für die Nationalmannschaft, die darauf hoffen kann, von WM zu WM auf einen immer größeren Pool von Spielern zurückgreifen zu können. Die US-Frauen dürften aus dem gleichen Grund weltklasse bleiben. Die oberste US-Herrenliga, Major League Soccer (MLS), will 2007 die erste kanadische Mannschaft aufnehmen und bis 2010 einen Profit vorweisen können. Es geht voran.

Was Fußball als Zuschauersportart angeht, sollte man sich aber keine Illusionen machen. Die durchschnittliche Besucherzahl bei einem normalen MLS-Spiel lag 2005 bei etwa 15.000, zum MLS Cup kamen 21.100 Zuschauer. Die Medienpräsenz nimmt zwar zu und es dürfte im Moment leichter sein, in den USA Fußball zu sehen als in Deutschland Football, auch wenn man schon mal auf einen spanischen Sender ausweichen muss.

Trotzdem ist es utopisch zu glauben, dass Fußball in unseren Lebzeiten zu den big four aufschließen kann. Um auch nur eine Chance zu haben, müsste die FIFA schon größere Regelveränderungen vornehmen: Spiele dürften nicht mehr ständig unentschieden ausgehen und schon gar nicht torlos, es müsste eine echte Spielzeit eingeführt werden und jemand sollte endlich etwas gegen die Torverhinderungsregel unternehmen – „Abseits“ lautet wohl der formelle Name. Ein paar mehr Schiedsrichter und ein Videobeweis wären auch schön.

Diesem Autor wurde jedoch glaubhaft erklärt, dass der Vatikan im Vergleich zur FIFA ein Hort von Radikalen ist und dass eher Kardinäle einen Partner an die Seite bekommen werden als Fußball-Schiedsrichter. Schon gar nicht würde man die Regeln ändern, weil es einigen Amerikanern so nicht passt. Nur weil es der größte Sportmarkt auf dem Planeten ist!

Dieser Autor versteht das nicht, aber das hatte er schon am Anfang gesagt. Wahrscheinlich ist es für die allgemeine Völkerverständigung gut, dass es genug Leute wie die Schönste Germanin gibt, die alles gucken, Football wie Fußball, Baseball wie Badminton: Hauptsache Sport.