Heute ist der französische Nationalfeiertag, denn vor 217 Jahren stürmten aufgebrachte Pariser Bürger das berüchtigte Gefängnis Bastille. Kurz darauf wurde das Symbol der staatlichen Unterdrückung abgerissen und der Schlüssel im Triumph in die USA geschickt.
Was vielleicht erklärt werden muss, denn heute würden die Franzosen eher überreifes Gemüse, ranzige EU-Butter oder langstrahlenden Atommüll über den Atlantik schicken als einen nationalen Schatz. Es ist vielleicht schwer vorstellbar, aber Ende des 18. Jahrhunderts waren kaum zwei Völker so dicke wie Franzosen und Amerikaner.
Die Franzosen waren die Geburtshelfer der amerikanischen Unabhängigkeit. Paris schickte im Krieg Truppen und insbesondere Schiffe, ohne die ein Sieg der 13 Kolonien über die Supermacht Großbritannien unmöglich ausgesprochen schwierig gewesen wäre. Nicht aus Liebe zur Freiheit und Demokratie – einigen klügeren Monarchisten war schon klar, dass die Amerikanische Revolution zu einer existenziellen Bedrohung für sie werden könnte. Aber die Versuchung, den verhassten Briten eins auszuwischen, war einfach zu groß.
Bei einigen Franzosen brannte die Leidenschaft für die Freiheit schon lichterloh. Unter ihnen war ein junger Adeliger mit dem bescheidenen Namen Marie Joseph Paul Yves Roche Gilbert du Motier, der Marquis de La Fayette. Mit 19 Jahren reiste er auf eigene Faust nach Amerika und stellte sich in den Dienst der etwas perplexen Rebellen, die zunächst nicht so richtig wussten, was sie mit ihm machen sollten. Aber La Fayette – in den USA „Lafayette“ geschrieben – brachte neben seinen persönlichen Fähigkeiten zwei wichtige Eigenschaften mit: Er war jemand, der Paris für die Sache der Kolonien gewinnen konnte, und er wollte keinen Sold. Lafayette wurde zum Generalmajor von George Washington.
Die Männer wurden lebenslange Freunde. Zeichnungen aus dem Krieg zeigen Washington und Lafayette nebeneinander auf ihren Pferden, wie sie den hungernden und frierenden Soldaten in Valley Forge Mut zusprechen. Lafayette befehligte Soldaten, wurde verwundet, und schlug sich wacker, auch bei der Schlacht von Yorktown, die das Ende des Kriegs markiert. Danach kehrte Lafayette nach Frankreich zurück (und wurde wieder La Fayette). Er und Washington blieben Freunde. La Fayette gab seinem Sohn den Namen George Washington.
La Fayette spielte auch eine wichtige Rolle während der Französischen Revolution, auf die wir aber hier nicht eingehen werden. Man muss vielleicht erwähnen, dass die Farben der Trikolore auf ihn zurückgehen sollen: Für Amerikaner ist damit völlig klar, dass ihre Fahne Pate stand, egal, was die Franzosen dazu sagen. Wichtiger für uns: Als die Bastille gestürmt wurde, schickte La Fayette seinem Freund besagten Schlüssel mit einem Brief, datiert auf den 17. März 1790:
Give me leave, my dear General, to present you with a picture of the Bastille, just as it looked a few days after I had ordered its demolition, with the main key of the fortress of despotism. It is a tribute, which I owe, as a son to my adoptive father, as an Aide-de-Camp to my General, as a Missionary of liberty to its Patriarch.
Wie wir wissen, lief es danach in Paris nicht so gut. Während Europäer sich damit trösten, dass die Französische Revolution langfristig auch ihnen liberté, egalité, fraternité brachte, war sie aus amerikanischer Sicht ein Desaster, das die Sache der Demokratie in Europa um mindestens 100 Jahre zurückwarf. Die Guillotine streckte Lady Liberty hin und mit ihr starb scheinbar jede Hoffnung von La Fayette und Washington, die Freiheit von der Neuen in die Alte Welt tragen zu können. Für die Amerikaner haben die Franzosen ihre Revolution schlicht verkackt.
Darüber sind die Amerikaner bis heute unglücklich. Was hätten zwei freie Nationen nicht gemeinsam erreichen können, so die wehmütige Klage, wenn der europäische Bruder nicht in einen Blutrausch verfallen wäre? Welche Chancen hätten sich der Menschheit geboten, wenn das mächtige Frankreich seine erste stabile Republik bereits 1792 und nicht erst 1870 geschaffen hätte? Wie viel Leiden wäre Europa, vielleicht der ganzen Welt erspart worden, wenn die Franzosen nicht versagt hätten?
Denn immer wenn Amerikaner und Franzosen Beleidigungen austauschen – im Moment mal wieder eine Art Hobby beider Staaten – liegt schnell dieser Vorwurf in der Luft: Versager! (die französische Erwiderung hat meistens irgendwas mit terminalem Kulturmangel zu tun). Dass die Franzosen sich sofort nach der (gescheiterten) Revolution hinter einen Diktator stellten, mit ihm Europa in Schutt und Asche legten und inzwischen bei der fünften Republik angekommen sind, macht die Sache aus amerikanischer Sicht nicht besser. Fünf Republiken? Die Franzosen hätten doch schon beim ersten Mal nur von der amerikanischen Verfassung abschreiben müssen!
Bei allem Streit, bei allem Zank ist La Fayette (bzw. Lafayette) ein gemeinsamer Held geblieben. In Frankreich und den USA werden Schulen und Einkaufszentren, Straßen und ganze Städte nach ihm benannt. Die US-Marine gab bislang drei Kriegsschiffen den Namen „Lafayette“. Eine vermutlich unwahre aber trotzdem gern zitierte Legende besagt, dass der Kommandeur der US-Truppen im Ersten Weltkrieg, General Pershing, bei der Ankunft in Frankreich rief: Lafayette, here we are! Am 23. Januar 2002 stimmte der US-Kongress dafür, Lafayette zum Ehrenbürger der USA zu machen, eine Auszeichnung, die außer ihm nur fünf andere Menschen erhalten haben. Über seinem Grab weht bis heute die amerikanische Fahne, egal, welches kurzlebige Geschrei über Pommes die Medien dominieren mag.
Und der Schlüssel der Bastille hängt weiter auf dem Landsitz von George Washington Mount Vernon, eine Erinnerung an bessere Zeiten und ein Zeichen der Hoffnung, dass sie wiederkehren werden. Streit unter Brüdern ist bekanntlich häufig und heftig; aber trotz ihrer unterschiedlichen Wege sind die USA und Frankreich am Ende zwei Demokratien, deren Wurzeln nicht zu trennen sind, ob es ihnen gefällt oder nicht.
In diesem Sinne: Happy birthday, Frankreich, und danke noch mal für Lafayette. Wie auch immer er geschrieben wird.
(Danke an DKS für Hlife bei der Recherche)