Warum „ländliche Angelegenheiten“ bei Shakespeare unanständig sind

Oktober 26, 2010

Warum bloß hat dieser Autor Beispiele aus TV-Serien wie Buffy oder Star Trek genommen statt bei den hochgeistigen Literaturklassikern zu bleiben? Es stellt sich heraus, dass jede Menge interessierte Leser solche Serien im Original schauen. Und das führt zu Nachfragen, die in einem guten Familienblog eigentlich keinen Platz haben.

TH zum Beispiel hat Veronica Mars geguckt und will jetzt wissen, worauf Kristen Bell in der Folge „Look Who’s Stalking“ anspielt (Hervorhebung hinzugefügt):

Veronica: Mrs. C! I trust you’re well.
Kendall: Why, if isn’t little miss teen getaway. Your dad and I were just dealing with a little trouble.
Veronica: Like „trouble“ with a capital T, that rhymes with C, that stands for –
Keith: Veronica!
Veronica: I was gonna say cute.

Sicher, Veronica, sicher. Für die Uneingeweihten: Kendall (gespielt von Charisma Carpenter aus Buffy) und Veronica mögen sich nicht. Wirklich absolut überhaupt gar nicht. Das einzige Wort, das hier passt, ist damit eindeutig cunt. Das erklärt auch die Reaktion von Veronicas Vater Keith.

Cunt – „Fotze“ – ist eines der schlimmsten Schimpfwörter der englischen Sprache und taucht daher bei den „sieben schmutzigen Wörtern“ auf, die man im amerikanischen Antennen-Fernsehen nicht aussprechen sollte. Einige Feministinnen wollen das Wort „zurückholen“ (to reclaim). Entsprechend finden wir es bei den Vagina Monologues [YouTube].

Es gibt eine Debatte, ob das Wort in anderen englischsprachigen Ländern als genauso schlimm empfunden wird, was bei der Diskussion über die Altersfreigaben von Kick-Ass wieder hochkam. Amerikaner sagen den Briten nach, mit dem Wort hemmungslos um sich zu werfen, was auch an Trainspotting [YouTube] liegen dürfte. Dieser Autor kann dazu nichts sagen, denn er kennt nur höfliche Engländer, vermutlich eine Folge seines völligen Desinteresses an Fußball.

Wie auch immer, als höflicher Ersatz dient die Formulierung the c-word. In einigen Texten findet man die etwas anspruchsvollere Umschreibung country matters. Aber wer Hamlet in der Schule durchgenommen hat, weiß das schon.

Wie, nicht? Hat der Englischlehrer das etwa verschwiegen? Tsk. Dann schauen wir uns Akt 3, Szene 2 genauer an (Hervorhebung hinzugefügt):

Hamlet: Lady, shall I lie in your lap?
Ophelia: No, my lord.
Hamlet: I mean, my head upon your lap?
Ophelia: Ay, my lord.
Hamlet: Do you think I meant country matters?
Ophelia: I think nothing, my lord.

Wenn man die Zeile laut aufsagt (bitte vorher sicherstellen, dass keine Angelsachsen in Hörweite sind) und den ersten Teil von country betont, wird es ganz deutlich. Oder, wie es in den Kommentaren einer anderen Ausgabe so zart umschrieben wird:

Hamlet’s use of the word „country“ is probably a rude and indecent pun.

Das probably ist hier unnötig: Shakespeare ist voll von unanständigen Anspielungen, Hunderte, deren Besprechungen ganze Bücher füllen. Manchmal ist es offensichtlich, wie am Anfang von Romeo and Juliet, wo Jungfrauen (unter anderem) gegen die Wand gedrückt werden sollen. In anderen Fällen wie hier bei Hamlet liest sich das auf dem Papier eher harmlos; erst wenn die Schauspieler auf der Bühne alles richtig betonen, versteht man, was gemeint war. Und teilweise hat sich Englisch über die Jahrhunderte so verändert, dass man heute selbst Muttersprachlern den Witz erklärt muss.

Auch in unserem Fall ist die Passage eigentlich noch viel unanständiger:

[N]othing is a double-entendre; „an O-thing“ (or „’n othing“, or „no thing“) was Elizabethan slang for „vagina“.

Mit diesem nützlichen Wissen ausgerüstet mag der interessierte Leser sich noch einmal den obigen Ausschnitt vornehmen – Ophelias I think nothing, my lord ist doppeldeutig. Genauso geht es weiter:

Hamlet: That’s a fair thought to lie between maids‘ legs.
Ophelia: What is, my lord?
Hamlet: Nothing.

Ja, der gute alte Will bietet halt etwas für jeden Anspruch, einer der Gründe, warum man ihn ein Genie nennt. Das gleiche Wortspiel findet sich im Originaltitel von „Viel Lärm um Nichts“, Much Ado About Nothing:

„As Shakespeare’s title ironically acknowledges,“ Gordon Williams writes in Shakespeare’s Sexual Language, „both vagina and virginity are a nothing causing Much Ado.“

Zum Glück für die Amerikaner hilft die Boulevardpresse, etwaige Bildungslücken zu stopfen. Deutsche Schüler verpassen dagegen den Spaß (wobei dieser Autor nicht weiß, ob das ihren Lehrern überhaupt auf der Uni beigebracht wird). Völlig außen vor stehen die faulen Schüler, die nur eine deutsche Shakespeare-Ausgabe zu Hilfe nehmen, statt sich durch die englischen Fußnoten zu kämpfen:

Hamlet: Denkt Ihr, ich hätte erbauliche Dinge im Sinne?
Ophelia: Ich denke nichts.
Hamlet: Ein schöner Gedanke, zwischen den Beinen eines Mädchens zu liegen.
Ophelia: Was ist, mein Prinz?
Hamlet: Nichts.

Hier hat der Übersetzer keine Chance: Die Doppeldeutigkeiten lassen sich nicht retten und damit verliert die ganze Passage ihren Witz. Wir hatten über die ans Zwanghafte grenzende Liebe der Angelsachsen zu Wortspielen gesprochen — jetzt sehen wir den Großmeister bei der Arbeit. Und verstehen, warum Angelsachsen bei Shakespeare-Übersetzungen schaudern. Ach armer Yorick!

Bevor jemand fragt: Nein, dieser Autor weiß nicht, wie die Passage im klingonischen Original lautet. Bedenkt man, wie alle Beteiligten am Ende von „Looking for par’Mach in All the Wrong Places“ auf die Krankenstation humpeln, will dieser Autor das vielleicht auch gar nicht wissen. Klar ist, wir bleiben in diesem Blog bei den Beispielen aus der Populärkultur — die Klassiker sind einfach viel zu versaut.