Die Transition Movement, eine neue angelsächsische Öko-Bewegung

April 21, 2009

Frühere Einträge der Schönsten Germanin mögen den Eindruck erweckt haben, dass der Garten der Stevensons nur aus Rasen besteht. Das ist so nicht wahr. An der Südseite des Hauses gibt es einen „pädagogischen“ Gemüsegarten von etwa sechs Quadratmetern, der den Kindern zeigen soll, wo Lebensmittel herkommen. Die Brut ist begeistert, obwohl erst einige Erbsen und Radischen durch die Erde gucken: Es hat im Dorf seit drei Wochen nicht nennenswert geregnet, und Landwirtschaft bedeutet für sie, mit Eimern und Bechern und Spritzen und Schaufeln zu spielen, während Daddy das Wasser aus dem Schlauch beisteuert. So war das nicht gedacht.

Wir nehmen die Große Brandenburger Frühjahrsdürre von 2009 zum Anlass, auf eine angelsächsische Bürgerbewegung hinzuweisen, die es in dieser Größenordnung in Deutschland (noch) nicht gibt: Die Transition Movement. Das ist die ökologische Umwandlung ganzer Orte, die entsprechend transition towns genannt werden.

Vorher müssen wir kurz auf den bevorstehenden Untergang der menschlichen Zivilisation eingehen.

Wir haben in den Einträgen über Notfallausrüstungen und der Häuserdämmung im Vorbeigehen die Theorie des Peak Oil angesprochen. Das ist der Punkt, an dem das Maximum der weltweiten Ölförderung überschritten ist, sprich, ab dem die Produktion nicht weiter gesteigert werden kann und abzufallen beginnt. Es ist ausdrücklich nicht der Punkt, an dem „das Öl alle ist“, wie es schon mal falsch zusammengefasst wird.

Die Folgen, so die Anhänger der Theorie, werden untragbare hohe Ölpreise und ein Zusammenbruch unserer Gesellschaft sein. Und zwar bald, denn die Welt soll Peak Oil schon erreicht haben oder zumindest kurz davor stehen.

Ob das alles so stimmt, ist für uns nicht wichtig. Was wir wissen müssen: Peak Oil ist in den USA und Großbritannien ein größeres Thema als in Deutschland. Das liegt daran, dass beide Staaten einen solchen Wendepunkt selbst erlebt haben (USA: etwa 1970, Großbritannien: 1999), während Deutschland zumindest gefühlt schon immer ein Öl-Importeur war. Zudem ist der Begriff in den USA von dem Investmentbanker und Autor Matthew Simmons unters Volk gebracht worden. Und schließlich ist „Peak Oil“ einfach griffiger als der furchtbare Begriff des „globalen Ölfördermaximums“. Ein wenig besser ist „die Energiewende“. Allerdings beschreibt das mehr die Reaktion als das Problem.

Die Transition Towns (TT) sind dabei ein Teil dieser Reaktion auf Peak Oil wie auch auf den Klimawandel. Angestoßen wurde die Bewegung 2005 von dem britischen Ökologen Rob Hopkins, der nebenbei das Blog Transition Culture führt. Nach ersten Erfahrungen in Irland zog er nach Totnes in England, das er zum Energiewende-Dorf umbaut.

Zwei Fragen stehen dabei im Vordergrund (umformatiert):

For all those aspects of life that this community needs in order to sustain itself and thrive, how are we going to:

– significantly rebuild resilience (in response to peak oil)
– drastically reduce carbon emissions (in response to climate change)?

(Die TT-Leute haben ein eigenes Vokabular. Resilience – Widerstandsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit – beschreibt wie gut eine Gemeinschaft mit den Belastungen durch Peak Oil fertig werden kann. Ein anderer Begriff ist reskilling, bei dem handwerkliche Fähigkeiten wiedererlernt werden, der Gemüseanbau zum Beispiel. Und wenn eine Gruppe von „Übergängern“ zusammenkommt, um irgendwo ein Stück Land schnell mal in einen nachhaltigen Garten zu verwandeln, dann nennt man das einen permablitz – von permaculture, der nachhaltigen Landwirtschaft, und „Blitzkrieg“.)

Inzwischen gibt es in Großbritannien etwa 80 Gruppen, weltweit mehr als 150. Einen Überblick bekommt man mit Hilfe von Google Maps. Für England werden drei Seiten benötigt. In Deutschland ist die Zahl offenbar klein.

Ein Unterschied zwischen den Übergängern und der „traditionellen“ Öko-Bewegung ist die freudige Einstellung, die in einem Bericht der BBC [YouTube] gut herüberkommt. Statt den Leuten ins Gewissen zu reden, bis sie vor lauter Schuldgefühlen über den Transportweg der Becher keinen Joghurt mehr zu essen wagen, wird der energy descent als eine Chance dargestellt, wie die „New York Times“ (NYT) in einem langen Artikel über die Bewegung erklärt:

Transition, Hopkins has written, meets our era’s threats with a spirit of „elation, rather than the guilt, anger and horror“ behind most environmental activism. „Change is inevitable,“ he told me, „but this is a change that could be fantastic.“

Hurra, die Grundlage unserer Zivilisation bricht weg, jetzt kommt die Utopie! Das ist selbst für Amerikaner etwas viel Optimismus: Die Überschrift bei der NYT lautet The End Is Near! (Yay!). Auch in der Bewegung entstehen da gewisse Spannungen, wie ein Teilnehmer eines Treffens in Sandpoint im Bundesstaat Idaho der Zeitung sagt:

Some people on the food group want to feel good […] and some people want to figure out how to feed 40,000 people in case the trucks stop rolling.

Dafür steuern die Amis wieder das Prinzip think big bei. Warum sich ein kleines Dorf vornehmen, wenn man gleich Los Angeles umbauen könnte?

Es wird spannend werden zu sehen, wo sich die Bewegung am besten durchsetzt, in den USA oder Großbritannien. Dieser Autor würde (oh Wunder) auf die USA setzen: Wegen der geringeren Bevölkerungsdichte haben die Amerikaner mehr Platz, um mit ihren Kartoffeln zu spielen. Zudem ist die Übergangsbewegung kommunal organisiert:

What we are convinced of is this:

– if we wait for the governments, it’ll be too little, too late
– if we act as individuals, it’ll be too little
– but if we act as communities, it might just be enough, just in time.

Das Handbuch [PDF] der Transition Movement besagt zwar, dass man die örtlichen Behörden möglichst einbeziehen soll. Aber die Bewegung ist bürgergetrieben (also grass-roots statt astroturf), dezentralisiert und überpolitisch. In den USA ist man autonome, eigenwillige Kommunen eher gewohnt als in Europa. Entsprechend schließt die NYT mit der Bewertung, dass viel von der amerikanischen Transition-Bewegung eine weitere Ausprägung der guten, alten direkten Demokratie der USA sei.

Amerika hat noch einen anderen Trumpf: Henry David Thoreau. Der Schriftsteller und Philosoph zog Mitte des 19. Jahrhunderts zwei Jahre in den Wald, alleine. Aus der Erfahrung ging Walden hervor, die amerikanische Bibel für das self-sufficient life (und ein zentraler Einfluss auf Gandhi). Der Vater der britischen Landwirtschaft, Jethro Tull, war dagegen ein Maschinenfreak. Wer kommt wohl besser mit Peak Oil zurecht?

Eben.

Und jetzt müssen wir aufhören, denn die Brut steht mit einer Ansammlung von Eimern und Gießkannen vor dem Autor und macht ein hoffnungsvolles Gesicht. Den ganzen Garten in Gemüsefelder umwandeln? Die Kinder wären dafür.