Thou, thee und thy oder warum duzt Darth Vader eigentlich den Imperator

Februar 22, 2008

Wir haben in der Folge über den Hail Mary das Pronomen thou erwähnt, das inzwischen aus dem Englischen verschwundene Gegenstück zum deutschen „Du“. Allerdings ist diese Form nicht völlig weg, sondern taucht in festgelegten Ausdrücken wie holier than thou auf und gerne mal – wenn auch hin und wieder falsch – in Filmen und Büchern. Daher erklären wir kurz den Hintergrund.

Um den technischen Teil hinter uns zu bringen: Es handelt sich um die informelle Anrede bei der zweiten Person Singular. Dazu kommen die Formen thee wenn nicht das Subjekt, sondern das Objekt gemeint ist, sowie thyself, thy und thine.

Schnell zur Praxis. Schauen wir uns die Buffy-Folge „Gingerbread“ (Staffel 3, Folge 11) an, wo die Hexe Amy sich in eine Ratte verwandelt, um der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen zu entgehen:

Goddess Hecate, work thy will! Before thee let the unclean thing crawl!

Der Unterschied zwischen thy und thine besteht darin, dass thine vor Vokalen gebracht wird, analog zu a banana und an apple. Wir sehen das am Lord’s Prayer:

Our Father who art in heaven,
Hallowed be thy name.
Thy kingdom come,
Thy will be done,
On earth as it is in heaven.
Give us this day our daily bread.
And forgive us our trespasses,
As we forgive those who trespass against us.
And lead us not into temptation,
But deliver us from evil.
For thine is the kingdom,
and the power, and the glory,
for ever and ever.
Amen.

(Das Wort hallowed, „heilig“, ist uns schon bei Halloween begegnet)

Die klassischen Bibelübersetzungen haben die Formen ebenfalls, weswegen sich die guten Bürger von Sunnydale wohl bei Amy auf Exodus 22:18 berufen würden:

Thou shalt not suffer a witch to live.

Shakespeare ist natürlich voll davon, zum Beispiel bei King Lear, wo wir noch mal den Unterschied zwischen thy und thine finden:

Thou rascal beadle, hold thy bloody hand!
Why dost thou lash that whore? Strip thine own back;
Thou hotly lusts to use her in that kind
For which thou whipp’st her.

Kombinieren wir Buffy und Shakespeare, erhalten wir A Midsummer’s Nightmare:

Thou, Bloody Spike, hast made her honeyed rhymes,
Which, though hardly fit for human ears,
Have won her heart with false claims and pretense
That thou hast against all chance obtained thy soul
Thou hast ‚changed body fluids with her, and by
The moonlight at her window sung,
And through her window dragged thy death-cold flesh
To feast upon her warm and foolish throat.

(Bei ganz formellen Gelegenheiten wird bei my und mine übrigens auch der Folgevokal berücksichtigt. Die erste Zeile der Battlehymn of the Republic von Julia Howe lautet:

Mine eyes have seen the glory of the coming of the Lord

Kleinere interessierte Leser werden sich an Walt Disneys Aladdin erinnern, wo der Genie sagt:

Dost mine ears deceive me? Three? You are down by one, boy!

Das sollte man seinem Englisch-Lehrer allerdings nicht zumuten.)

Wir haben bei den Beispielen die Verben hervorgehoben, denn man sieht hier noch etwas: Bei thou gab es eine Konjugation, es wurde ein -st oder -est angefügt:

  • thou knowest, thou knewest (to know)
  • thou makest, thou madest (to make)

In unseren Beispielen haben wir auch schon einige der unregelmäßigen Verben gesehen, ohne die es im Englischen irgendwie nie geht:

  • thou art (to be)
  • thou hast (to have)

Warum ging das alles verloren? Das weiß wieder niemand so recht. Es sind auch andere Pronomen AWOL, wie das ye (was wir uns heute ersparen). Wegen dieser Veränderungen kann das Englische nicht mehr so einfach zwischen you als Anrede einer Person oder einer Gruppe unterschieden. Das treibt jeden Tag tausende angelsächsische Kellner zum Wahnsinn – What would you like to drink? ist eigentlich mehrdeutig. In den Südstaaten hat sich y’all (von you all) als eine Art „funktionelles Pronomen“ gebildet. Das ist nützlich, aber auch nichts für den Englischunterricht.

Warum auch immer, heute laufen Amerikaner, Briten und Co herum und siezen nicht nur ihre Freunde, Ehepartner und Kinder, sondern sogar Tiere („Möchten Sie nach draußen, geehrte Katze?“). Von religiöser Seite wird ebenfalls empfohlen, die modernen Formen zu benutzen:

If you feel the need to speak in ungrammatical, stilted, and archaic English to God, then I would reexamine the relationship.

(Auf der Seite gibt es auch einen Test, ob man die alten Formen beherrscht).

Inzwischen dürfte dem aufmerksamen interessierten Leser gar nicht wohl sein. Wenn das thou die vertraute Form ist, warum ruft Amy ausgerechnet die zickige Göttin Hekate so an? Ist das vielleicht der Grund, warum sie bis Staffel 6 eine Ratte bleiben muss? Und was ist mit Darth Vader los, wenn er in Star Wars: Return of the Jedi so den Imperator anredet:

What is thy bidding, my master?

Kurz gesagt, das ist falsch. Aber weil die Angelsachsen thou und thee nur noch bei feierlichen Anlässen wie Gottestdiensten hören, klingen diese Formen in ihren Ohren inzwischen selbst feierlich. Die informelle Anrede wird daher paradoxerweise immer mehr für Situationen genutzt, wo eine besondere Formalität signalisiert werden soll.

Die Fantasy-Welle hat viel dazu beigetragen, denn selbst High-School-Schüler entwickelten plötzlich ein gesteigertes Interesse an alter englischer Grammatik. Heraus kommen so nützliche Hinweise wie:

If thou dost not stop teasing my dragon, I’m sure it will bite thee.

Leider machen sich nicht alle die Mühe, wirklich die korrekten Formen zu benutzen. Auch das dost mine ears von Disney ist dummes Zeug, denn eigentlich muss es do heißen, wie es Sir Arthur Conan Doyle in Micah Clarke vormacht:

But do mine eyes deceive me, or is there a glimmer of light over yonder?

Wenn überhaupt hätte der Genie Dost thou try to deceive mine ears? sagen sollen. Disney hat hier zur allgemeinen Sprachverwirrung beigetragen, denn Google zeigt uns, dass dost mine ears inzwischen richtig Karriere macht.

(Möglicherweise sollte es doth mine ears heißen, was aber immer noch falsch wäre, denn das ist eine alte Version der dritten Person Singular von to do, und wir haben es mit zwei Ohren zu tun. Und nach einer halben Stunde mit der DVD-Sammlung von Kind Nummer Eins kann dieser Autor mit großer Sicherheit sagen, dass Robin Williams wirklich dost sagt.)

Ist es jetzt gut oder schlecht, dass die thou-Formen plötzlich genau andersherum benutzt werden? Die grammar nazis sind natürlich entsetzt. Allerdings gibt es kein Gesetz, dass man Sprachelemente nicht mit neuen Aufgaben wiederverwenden kann. Es wäre auch schade, sie einfach verfallen zu lassen.

Vielleicht findet jemand auch eine neue Verwendung für andere englische Sprach-Zombies, so dass wir in Zukunft nicht mehr sagen müssen:

I wish there were a use for the subjunctive mood.

[Dank an DKS für Linkhilfe]