Zur Finanzierung der US-Universitäten

Juni 28, 2007

Heute, liebe interessierte Leser, wollen wir über amerikanische Universitäten sprechen. Eine aktuelle Entwicklung gibt uns die Vorlage, das Thema der Finanzierung herauszugreifen: Ein anonymer Absolvent der University of Chicago hat ihr 100 Millionen Dollar geschenkt, um Studienanfänger zu unterstützen.

I am giving this gift to the University of Chicago because I believe it had a profound effect on my life and in particular on allowing me to survive untold failures and persevere in mad adventures that have rewarded me with the financial resources to make this gift.

So ein anonymer Spender macht natürlich neugierig – was waren wohl die mad adventures, die er nicht genannt sehen will? Woher hat er das Geld – ein Piratenschatz? Nazi-Gold? Blutdiamanten? Gewinne aus Pharma-Versuchen an genmanipulierten Waisen in geheimen Regierungslabors im südamerikanischen Urwald? Oder war es gar etwas wirklich verwerfliches wie Gartenzwerg-Importe?

Wie auch immer. Chicago wird das Geld benutzen, damit Studenten, deren Familien weniger als 60.000 Dollar im Jahr zur Verfügung steht, keinerlei Studiengebühren zahlen müssen. Damit zieht die Uni mit Harvard gleich, wobei man dort auch Unterkunft und Verpflegung umsonst bekommt – wenn man aufgenommen wird, versteht sich (zumindest in Harvard gilt diese Regelung auch für Ausländer, sollte sich jemand berufen fühlen).

Die Finanzierung der amerikanischen Hochschulen ist eines der Themen in diesem Blog mit einem Bezug zu Deutschland. Denn immer wenn es darum geht, ob hierzulande Studiengebühren eingeführt werden sollen, heißt es: Die Amis haben sowas und deren Universitäten sind, zumindest wenn man den Chinesen glaubt, ziemlich gut. Ergo: Auch Deutschland braucht Studiengebühren. Wir werden wegen Regel 1 dieses Blogs nicht direkt zu dieser Debatte Stellung nehmen. Aber wir können doch etwas Hintergrund liefern, denn so einfach ist das nicht.

Da wir bislang praktisch nichts über das amerikanische Bildungssystem gesagt haben, braucht dieser Hintergrund erstmal selbst etwas Hintergrund.

Bildung in den USA ist nach dem föderalen Modell Sache der Bundesstaaten. Es wurde nie geklärt, ob ein System von nationalen Unis mit der Verfassung vereinbar wäre, aber in der Praxis werden nur die Militäruniversitäten wie West Point oder Annapolis als „Akademien“ vom Bund geführt. Bildung ist dann auch der größte Posten der Bundesstaaten. In Arizona [PDF] lag der Anteil 2007 bei mehr als die Hälfte des Haushalts: 42 Prozent für Schulen und zehn Prozent – etwa 960 Millionen Dollar – für die staatlichen Hochschulen.

Das heißt nicht, dass der Bund nichts zur Bildung beiträgt – tatsächlich hat er eine ganze Reihe von Förderprogrammen [PDF]. Der Schwerpunkt liegt jedoch bei den Bundesstaaten.

(Entsprechend blödsinnig sind Berichte in der deutschen Presse, vom amerikanischen Bundeshaushalt seien X Prozent für Verteidigung, aber nur Y Prozent für Bildung vorgesehen. Duh: Verteidigung ist Bundessache, Bildung Ländersache.)

Die Universitäten sind dabei autonom zu einem Grad, der auf Deutsche erschreckend wirken kann – ironischerweise, denn das Prinzip geht auf Wilhelm von Humboldt zurück. Sie haben (wie schon angedeutet) eigene Polizeikräfte und entscheiden selbst über die Aufnahmekriterien, um nur zwei Beispiele zu nennen. Wir werden in anderen Einträgen auf diese Punkte zurückkommen.

Ihr Geld stammt nun aus drei Hauptquellen: Steuern, Studiengebühren und Spenden/Stiftungen. Den Rest dieses Textes können wir wie folgt zusammenfassen: Die Hochschulen erhalten Geld aus jede dieser Quellen, wenn auch in einem unterschiedlichen Maß.

(Zeit für unseren Standard-Disclaimer: Das ist natürlich eine Vereinfachung. Die Cooper Union hat zum Beispiel seit 1859 noch nie Studiengebühren verlangt, sondern bietet allen 900 Studenten eine full scholarship. Wir ignorieren hier solche Sonderfälle.)

Wir haben schon den Bildungshaushalt von Arizona angesprochen, machen wir also mit den Steuergeldern weiter. An der öffentlichen Arizona State University [PDF] (ASU) stammten 2006-07, brutal gerundet, 370 Millionen Dollar vom Bundesstaat und 410 Millionen Dollar von den Studenten als Studiengebühren. Über die Jahre hat der Anteil (nicht aber die Gesamtsumme) der öffentlichen Gelder dabei abgenommen. Wer ein Masochist Bilanzfreak ist und sich im Detail den cash flow einer öffentlichen Uni anschauen will, sei auf die University of Michigan [PDF] (UM) verwiesen.

Der Trick ist nun, dass neben den state universities wie ASU oder UM auch die private universities wie Chicago Steuergelder erhalten. Oft sind das Forschungsgelder in mehrstelliger Millionenhöhe vom Bund, zum Teil zweckgebunden. Auch die großen Namen wie Stanford bekommen so Geld vom Bürger.

Woran sieht man am besten, dass der Staat Geld gibt? Wenn er droht, es zu behalten. In den USA müssen Universitäten, die Bundesmittel erhalten, nach dem Solomon Amendment Rekrutierungsoffiziere auf den Campus lassen. Das stinkt einigen Unis: Harvard zum Beispiel hatte Ende der 60er Jahre das Reservisten-Offiziersprogramm ROTC herausgeschmissen. Die Ablehnung hat heute oft weniger mit Pazifismus zu tun als mit der von Bill Clinton eingeführten „Don’t ask, don’t tell“-Politik des US-Militärs gegenüber Homosexuellen. Der Bund hat dann in den vergangenen Jahren Druck gemacht – Harvard, um bei dem Beispiel zu bleiben, drohte zwischendurch 16 Prozent seines Haushaltes zu verlieren. Das ist also der Anteil, der dort vom Bund kommt. Das Oberste Gericht bestätigte übrigens 2006 in Rumsfeld vs FAIR einstimmig den Solomon Amendment.

(Das ist nach den Alkoholgesetzen das zweite Beispiel in diesem Blog für die „Zuckerbrot statt Peitsche“-Taktik auf die der Bund zurückgreifen muss, weil er diese Dinge nicht einfach per Gesetz anordnen kann.)

Die Höhe der Studiengebühren hängt nun von vielen Dingen ab. Einige Universitäten verlangen – wie bereits beschrieben – für die unteren Einkommensschichten überhaupt kein Geld. Bei den öffentlichen Hochschulen zahlen langjährige Bürger des Bundesstaates (residents) deutlich weniger als Leute von außerhalb (nonresidents). An der ASU lag der Betrag für Studienanfänger für das Studienjahr 2006-07 bei 4.688 Dollar für Residents und 15.847 Dollar für Zugezogene (wer will, kann es auch genauer berechnen). An der UM sind es für 2007-08 jeweils 9.723 und 29.131 Dollar.

In Harvard liegt die tuition bei 31.456 Dollar. Ähnlich ist die Situation in Stanford und am Reed College. Dabei decken diese Summen nicht die vollen Kosten ab (Fettdruck hinzugefügt):

All Harvard students receive a subsidy — even students who do not qualify for need-based aid receive a substantial subsidy, or implicit scholarship, from the university because the price charged covers only about two-thirds of the cost to Harvard for the education provided. The remaining third is paid for largely by endowments and gifts.

Was in Deutschland bei der Diskussion über Studiengebühren nun meist übersehen wird: Die USA haben eine große Zahl von Stipendien, staatlich geförderten Krediten und anderen Finanzinstrumenten entwickelt, um Studenten zu unterstützen.

Unter den Stipendien dürfte der GI Bill am bekanntesten sein, der 1944 aufgelegt wurde und bis 1957 etwa 7,8 Millionen Soldaten eine weitergehende Ausbildung ermöglichte (solche Programme gibt es bis heute). Auch die staatlich überwachten Geber von Bildungskrediten wie Sallie May haben gemeinnützige Stiftungen.

Die Stipendien von Bund und Bundesstaaten gelten dabei auch für private Unis. Ein Beispiel dafür ist der Pell Grant des Bundes für untere Einkommensschichten, der ausdrücklich kein Kredit ist und nicht zurückgezahlt werden muss. Der Bund stellte dafür 2006 etwa 13 Milliarden Dollar bereit. Es gibt darüber hinaus natürlich gezielte Förderprogramme, wie das für jüdische Studien an der Yeshiva University (YU).

Die Folge: An Harvard erhalten etwa 70 Prozent der Studenten weitergehende Unterstützung in der einen oder anderen Form, übrigens die gleiche Quote wie in Michigan. Allerdings ist das ganze Vergabesystem, wie jedes Jahr zehntausende Studienanfänger feststellen, eine Wissenschaft für sich.

Und nun kommen wir zur dritten Säule, deren Bedeutung hierzulande deutlich unterschätzt wird: Amerikanische Universitäten verfügen über Milliarden an Stiftungskapital, ihren endowments. Harvard hatte 2006 Fonds von insgesamt 29 Milliarden Dollar zur Verfügung, die UM immerhin von 5,6 Milliarden Dollar. Dieses Geld gehört den Universitäten ganz allein und wird von ihnen verwaltet, was ihnen einen gewissen Grad an Unabhängigkeit und Planungssicherheit gibt.

Dazu kommen Spenden in Milliardenhöhe. Vergangenes Jahr waren es 28 Milliarden Dollar, ein Rekord. Allein Stanford erhielt 911 Millionen Dollar. Der anonyme Spender in Chicago ist also in guter Gesellschaft.

Ein großer Teil des Geldes stammt von ehemaligen Studenten, den alumni. Von erfolgreichen Absolventen wird erwartet, dass sie etwas an die Universität „zurückgeben“, egal ob sie damals Studiengebühren gezahlt haben oder nicht. Das Ideal ist eine Solidarität über die Generationen hinweg. Die Jahrgänge wetteifern miteinander, wer die größten Summen zusammentragen kann.

Diese Spende- und Stiftungswut ist nicht nur der Grund für die vergleichsweise großen Geldbeträge, die amerikanischen Universitäten zur Verfügung stehen (die FU Berlin [PDF] hatte 2006 – ohne die Charité – einen „Staatszuschuss“ von 290 Millionen Euro und Drittmittel von 59 Millionen Euro). Sie sorgt auch dafür, dass die Hochschulen motiviert sind, gute Leute anzuwerben, sie zu fördern und ihnen den bestmöglichen Einstieg in die Berufswelt zu ermöglichen – und zwar egal, aus welcher sozialen Schicht oder sogar aus welchem Land sie kommen. Wichtig ist nicht so sehr, woher die Studenten kommen, sondern wohin sie gehen.

Damit haben die kostenlosen Programme von Elite-Universitäten wie Harvard für weniger bemittelte Studenten nicht nur einen sozialen Aspekt, auch wenn dieser ernst gemeint ist und Maßnahmen wie der GI Bill oder die Pell Grants dafür sorgen, dass die Gesellschaftsschichten wenigstens zum Teil durchmischt werden. Erfolgreiche Studenten sind eine Investition für die Zukunft der Universität. Das muss nicht über Geld laufen, denn auch mit Erfolg kann man werben. Chicago verweist nicht umsonst auf seine 79 Nobelpreisträger, von denen sechs im aktiven Lehrdienst sind (die anderen sind, äh, zum Teil tot).

Für den Studenten ist das gut: Er sieht sich selbst an öffentlichen Unis nicht einer desinteressierten Bürokratie gegenüber, die ihn (bestenfalls) verwaltet. Das System ist aus ureigenen Gründen an seinem Erfolg interessiert – und zwar auch dann, wenn er dafür untold failures und mad adventures durchstehen muss.

Vielleicht hat der Spender das Geld mit Heino-Raubkopien gemacht? Das würde man doch bestimmt geheim halten wollen.

(Nach einem ursprünglichen Hinweis und mit Links von DKS, vielen Dank)