Der erste Moslem im Kongress und sein Eid auf den Koran

Januar 3, 2007

Morgen wird Keith Ellison aus Minnesota als erster Muslim in den Kongress einziehen. Der gute Mann hat bislang nicht den Dschihad verlangt, seine Frau und Tochter laufen unverschleiert herum er hat keine Neigung gezeigt, Flugzeuge in Hochhäuser zu steuern. Die Bürger in seinem Wahlkreis waren mehr an seiner Politik als an seiner Religion interessiert. Es gibt zwar einige auffällige Dinge in seiner Biografie und bei seinen Reden rufen die Muslime im Publikum Allahu akbar, was man sonst eher aus einem anderen Zusammenhang kennt. Aber richtig für Aufregung hat bislang hauptsächlich eins gesorgt:

Ellison will sich auf den Koran vereidigen lassen.

Dazu gibt inzwischen unzählige Berichte und Blogpostings. Das meiste davon geht auf einem Artikel des Feuilletonisten Dennis Prager zurück, der einen solchen Eid als Angriff auf die „amerikanische Zivilisation“ verurteilt:

Insofar as a member of Congress taking an oath to serve America and uphold its values is concerned, America is interested in only one book, the Bible. If you are incapable of taking an oath on that book, don’t serve in Congress. In your personal life, we will fight for your right to prefer any other book. […] But, Mr. Ellison, America, not you, decides on what book its public servants take their oath.

Die Sache ist etwas komplizierter als sie auf den ersten Blick scheint. Prager ist kein tollwütiger wiedergeborener Christ, wie man meinen könnte, sondern ein Jude, der ausführlich über seinen Glauben geschrieben hat. Wie kommt gerade er dazu, einen Amtseid auf die Bibel zu verlangen, besonders weil einige jüdische Abgeordnete ihn auf die Torah abgelegt haben?

In einem zweiten Artikel schreibt Prager als Antwort auf seine (unzähligen) Kritiker:

My belief that the Bible should be present at any oath (or affirmation) of office has nothing whatsoever to do with the religion of the office holder. […] You don’t have to be Christian to acknowledge that the Bible is the source of America’s values.

Er verstehe zwar die jüdischen Abgeordneten, die ihren Eid auf die Torah abgelegen, so Prager weiter. Aber das sei genauso falsch wie ein Eid auf den Koran, denn damit werde das Land geteilt: Das Fundament der USA sei das jüdisch-christlichen Wertesystem wie es in der Bibel beschrieben sei. Ellison müssen wenn überhaupt den Koran und die Bibel zusammen zu seinem Eid mitnehmen.

Prager gehört also zu der kleinen aber lautstarken Gruppe von Amerikanern, die zwar ausdrücklich für eine weltliche Verfassung sind, aber dahinter zwingend ein religiöses Wertesystem als Fundament verlangen. Die Besonderheit bei ihm ist nun, dass er seine eigene Religion nicht als dieses Fundament versteht. Es sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass die American Jewish Council Pragers Artikel auf schärfste verurteilt und sich hinter Ellison gestellt hat.

Ellison beruft sich natürlich auch auf ein Wertesystem:

People draw strength and moral courage from a variety of religious traditions. Mine have come from both Catholicism and Islam. I was raised Catholic and later became a Muslim while attending Wayne State University. I am inspired by the Qur’an’s message of an encompassing divine love, and a deep faith guides my life every day. I believe in a value system that invests in people and asks citizens to work for the common good.

(Kurz vor Weihnachten wurde die Diskussion noch einmal angeheizt durch einen Brief von Ellisons Kollegen Virgil Goode aus Virginia an seine Wähler, in dem er den Eid auf den Koran als Aufhänger für einen Angriff auf die Einwanderungspolitik benutzte. Das hat alle etwas verwirrt, denn Ellisons Vorfahren leben seit dem 18. Jahrhundert in Amerika, und da er schwarz ist, passt der Begriff „Einwanderung“ vermutlich auch nicht wirklich. Goode will auf jeden Fall nicht so viele Muslime in die USA lassen.)

Bei der ganzen Diskussion muss man im Kopf behalten, dass Amerikaner allgemein eine viel strengere Trennung von Kirche und Staat fordern als es in Europa der Fall ist. Auch Prager lehnt ausdrücklich jeden Gottesbezug in der Verfassung oder eine Pflicht auf einen religiösen Eid ab. Die Maschinerie des Staates soll keine Religion kennen.

Das ist auch der Stand seit 220 Jahren: Gott fehlt selbst in der Präambel, der Sechste Artikel der Verfassung verbietet jede „religiöse Prüfung“ und das First Amendment schreibt eine drakonische Trennung von Kirche und Staat vor. Nicht einmal Weihnachten ist in den USA ein Feiertag im europäischen Sinn.

Mehr noch: Viele der heutigen Bezüge auf Gott, auf die man in den USA trifft, sind jüngeren Ursprungs. Das under God im Fahneneid (den wir auch gesondert besprochen werden) stammt von 1954. Die Änderung des Staatsmottos von E pluribus unum („Aus vielen eins“) zu In God We Trust wurde zwei Jahre später vorgenommen (das alte Motto wird allerdings auch noch benutzt). In beiden Fällen kann man die Betonung des Religiösen als Reaktion auf die Bedrohung durch die gottlosen Roten sehen.

Amerikaner verstehen auch nicht, wie man in Deutschland überhaupt von einer Trennung von Kirche und Staat sprechen kann wenn Juden, Muslime und Atheisten per Gesetz gezwungen werden, am Sonntag und an christlichen Feiertagen ihre Läden zu schließen – hier bevorteilt der Staat doch eindeutig das Christentum. Schlicht entsetzt sind sie über die Kirchensteuer, die für sie in ein Zeitalter mit der Inquisition und den Kreuzzügen gehört.

Sorgen über die Vereinahmung von Deutschland als 51. Bundesstaat der USA sind schon daher völlig unbegründet: Die Bundesrepublik ist zu sehr ein Christenstaat, um ins amerikanische Gefüge zu passen. Das mag etwas schwierig sein zu glauben, wenn man erlebt, wie ein Prediger im Bible Belt das Feuer vom Himmel und den Schwefel aus Hölle beschwört. Das kann er gerne tun, aber bitte von der Kanzel aus und nicht im Kongress.

Was uns zurück zu Ellison bringt, denn wir haben die wichtigste Sache noch gar nicht erklärt: Der Amtseid wird gar nicht auf eine Schrift abgelegt. Die neuen Abgeordneten des Repräsentantenhauses heben einfach alle ihre Hand und schwören im Chor den allgemeinen Eid für Bundesangestellte:

I do solemnly swear that I will support and defend the Constitution of the United States against all enemies, foreign and domestic, that I will bear true faith and allegiance to the same, that I take this obligation freely, without any mental reservation or purpose of evasion, and I will well and faithfully discharge the duties of the office on which I am about to enter. So help me God.

Wenn das lang und umständlich wirkt, liegt es daran, dass der Text nach dem Bürgerkrieg vom Kongress zum Fangnetz für Südstaaten-Spalter ausgebaut wurde.

Wovon reden denn die Leute dann bei Ellison überhaupt? Nach dem offiziellen Schwur kann man nochmal alleine den Eid ablegen. Nette Leute nennen das einen Augenblick der persönlichen Besinnung, Zyniker sprechen von einem Fototermin für die Presse, böse Menschen auch bei Nicht-Muslimen von einer reinen PR-Masche. Was in diesem Fall zutrifft, mag der interessierte Leser selbst entscheiden.

Ellison, Prager und Goode haben auf jeden Fall eins geschafft: In die Medien zu kommen. Ob diese sich auch übermorgen noch für Ellison interessieren werden, wird zu sehen sein.