Der Bund Teil 1: Gewaltenteilung für Teilungslose

Juli 1, 2006

Heute beginnen wir mit einer Serie, die ein großes Ziel hat: Den Aufbau der Bundesebene zu erklären, also wie die US-Regierung arbeitet und wie Gesetze gemacht werden und so. Am Ende soll der interessierte Leser in der Lage sein, die häufigsten politischen Vorgänge zu verstehen, selbst dann, wenn es die Presse nicht tut.

Wir haben dafür schon heimlich die Grundlagen gelegt: Die Federalist Papers wurden als wichtige Quelle eingeführt und die grobe Struktur kennen wir jetzt auch. Ein allgemeiner Aspekt fehlt uns aber noch, bevor wir richtig loslegen können: Die Gewaltenteilung.

Deutsche habe erfahrungsgemäß Probleme mit der Gewaltenteilung, weil sie selbst keine haben, oder auf jeden Fall keine strenge. Die Bundeskanzlerin ist Chefin der Exekutive, aber auch eine Abgeordnete des Bundestages, also ein Teil der Legislative. Da die Exekutive aus der Legislative hervorgeht – wer die Mehrheit im Parlament hat, bestimmt den Bundeskanzler – und die Parteien Fraktionszwang haben, sind Exekutive und Legislative sogar noch stärker verbunden. Ähnliche Systeme sind in vielen europäischen Staaten im Gebrauch und funktionieren auch recht gut. Nur dass sie keine echte Gewaltenteilung haben.

Im 18. Jahrhundert war die aber super angesagt, und deswegen haben die USA eine echte, strenge, klare Gewaltenteilung. Exekutive (Präsident), Legislative (Kongress) und Judikative (Oberstes Gericht) arbeiten unabhängig, kontrollieren sich aber nach dem Prinzip der checks and balances alle gegenseitig. Wie, das werden wir bei den einzelnen Einträgen sehen.

Es kommt noch eine weitere Linie dazu, die eine gewisse Unterform der Gewaltenteilung darstellt: Die Aufspaltung der Legislative in zwei Teile, in Senat und Repräsentantenhaus. Auch wenn das nicht zur klassischen Gewaltenteilung gehört, soll sie hier besprochen werden, denn sie ist für den politischen Alltag von fundamentaler Bedeutung.

Die meisten westlichen Staaten haben Parlamente mit zwei Kammern, auch die, die es mit der Gewaltenteilung nicht so eng sehen. Oft überwacht dabei ein „Oberhaus“ ein „Unterhaus“, was in den USA aber nicht der Fall ist: Hier sind beide Kammern (fast) völlig gleichberechtigt. Ihre Mitglieder werden jeweils direkt vom Volk gewählt. Jedes Gesetz braucht die Zustimmung beider Kammern, in absolut identischer Form, womit jedes Gesetz doppelte Arbeit bedeutet.

Das ist laut, und umständlich, und teuer, und spätestens beim letzten Punkt hört bei Amerikanern sonst der Spaß auf. Was soll das?

Der Senat war ursprünglich eine Länderkammer. Die Senatoren wurden von den Bundesstaaten bestimmt, wie also der Bundesrat heute. Ähnlich wie da lief das aber nicht so gut: Die Landesparlamente konnten sich nicht auf Kandidaten für den Senat einigen, die Senatoren galten als faul und korrupt und überhaupt war das alles irgendwie undemokratisch. Daher wurde 1913 im 17. Verfassungszusatz die Direktwahl der Senatoren eingeführt.

Man beachte die unterschiedlichen Lösungsansätze für ein ähnliches Problem: In den USA wurde die bockige Länderkammer direkt dem Volk unterstellt, in Deutschland wird sie durch die Föderalismusreform zum Teil entmachtet. Damit ist Deutschland ein Stück weit in Richtung eines Einkammer-Parlaments wie in Israel oder Dänemark gerückt.

Genau diese Entwicklung wollten die Väter der US-Verfassung aber ausdrücklich verhindern. So schön das mit der Demokratie und den gewählten Volksvertretern sein mag, nach amerikanischer Sicht sind sie auch eine der größten Gefahren für jede Republik: Eine Volkskammer, so die Federalist Papers, neigt dazu, sich im Laufe der Zeit immer mehr Macht anzueignen, bis sie das ganze System dominiert und eine Art Diktatur der Legislative entsteht.

Als Paradebeispiel für eine solche Entwicklung gilt Großbritannien. Dort hatte das House of Commons ursprünglich nur wenige Rechte, aber bereits bis zur Amerikanischen Revolution hatte es dem König echte Befugnisse abgejagt. Danach ging der Prozess ungebremst weiter. Die Monarchie hatte bald nur noch eine zeremonielle Rolle, im 20. Jahrhundert wurde auch das House of Lords zum großen Teil entmachtet und entging unter Tony Blair nur knapp der kompletten Auflösung. Fairerweise muss man sagen, dass die Briten noch nicht einmal so tun, als hätten sie eine Gewaltenteilung. Die Diktatur des Parlaments ist im Gegenteil Programm.

Kennt man die ursprüngliche Struktur des Senats, wird auch einiges andere klar. Die drei für die Tagesarbeit wichtigsten Organe sollten auf drei unterschiedliche Arten bestimmt werden: Das Repräsentantenhaus durch das Volk, der Senat durch die Bundesstaaten und der Präsident durch Wahlmänner. Damit sollte sichergestellt werden, dass eine radikale Strömung nicht den ganzen Staat erfassen konnte.

Durch die Direktwahl des Senats ist dieser Mechanismus weitgehend zerstört. Das wird damit entschuldigt, dass man der Bevölkerung inzwischen mehr zutraut als im 18. Jahrhundert. Es reicht nach dieser Sicht, wenn der Senat und das Repräsentantenhaus aufeinander losgelassen werden. Immerhin funktioniert das seit nun fast 100 Jahren.

Welche Folgen hat die strenge Gewaltenteilung in den USA? Erstens, das System zwingt die Staatsorgane zur Zusammenarbeit. Zweitens, das System ist laut, weil diese Kompromisse erstmal ausgearbeitet werden wollen.

Das ist auch ein Grund, warum ehemalige Diktaturen wie Deutschland, Japan, Afghanistan oder der Irak erstmal eine parlamentarische Demokratie mit einem Parteiensystem kriegen und kein Kongress-System nach dem Vorbild der USA: So viel Demokratie, lautet die Überlegung, will erstmal gelernt sein. Es konnte ja keiner ahnen, dass Deutschland das Provisorium Grundgesetz behalten würde. Dort, wo man langsam und geordnet die Macht übergeben konnte – bei den Philippinen oder Kuba zum Beispiel – wurde dagegen direkt ein Kongress-System eingeführt.

Soweit der letzte Überblick. Der nächste Eintrag der Serie befasst sich mit Star-Trek-Zitaten, also mit dem Repräsentantenhaus.