ZEUGS: Halloween: Deutsche Varianten, Gandalf der Gelbe und paranoide Amis

Oktober 31, 2010

Inzwischen kommt sich dieser Autor etwas albern vor, Halloween zu erklären. In diesem Jahr scheint eine kritische Masse erreicht oder eine Schwelle überschritten worden zu sein, denn das Fest ist überall: Selbst bei der Online-Bestellung von RAM für den MacBook der Schönsten Germanin gab es ein Sonderangebot, obwohl im Moment nicht einmal die Preise gruselig sind.

Auch bei den Jack-O-Lanterns nimmt die Kunstfertigkeit deutlich zu. So steht in einem Vorgarten auf dem Weg zum Kindergarten von Kind Nummer Zwei eine Variante des berühmten kotzenden Kürbisses. Noch nicht ganz der Todesstern, aber der erste Schritt dahin. Viel hat sich verändert seit 1984, als die Ehrenwerten Eltern die Samen aus den USA selbst mitbringen, die Kürbisse selbst züchten und einige davon den dankbaren Mitarbeitern der US-Botschaft geben mussten, weil die großen Varianten in Deutschland nicht zu bekommen waren.

Das wirft allerdings die Frage auf, warum es immer noch kein Candy Corn in Deutschland gibt. Nochmal: Es ist Halloween und es gibt kein Candy Corn. Hallo? Erkennt hier denn niemand eine Marktlücke, wenn er sie sieht?

  • Zusammen mit dieser Entwicklung schreitet wie erwartet die Germanisierung von Halloween voran – das Fest bekommt eine eigene, charakteristische Note. Kind Nummer Eins wartet dieses Jahr unaufgefordert (für Nicht-Eltern: überall, ohne Unterlass und mit voller Lautstärke) mit gleich drei deutschen Reimen auf:

    Rummel, Rummel, Reister
    Wir sind die bösen Geister
    Wollt ihr uns vertreiben
    Oder sollen wir bleiben?
    Tut ihr nix in unseren Sack
    Nehmen wir euch huckepack
    Tut ihr doch was Schönes rein
    Gehen wir alle artig Heim

    Geister schreien
    Hexen lachen
    Gibt uns Süßes
    Sonst wird’s krachen

    Ich bin der Geist von Nebenan
    Gibt mir Süßes
    Sonst seid ihr dran

    Den ersten Reim hatten wir schon einmal im Blog.

  • Während wir in Deutschland sind, etwas zu den einheimischen Varianten: Der interessierte Leser WH erzählt, dass er als Kind an Silvester (!) von Tür zu Tür gelaufen ist, in Lumpen gekleidet und mit Kohle im Gesicht, und um Geld bettelt hat. Der interessierte Leser ML bemerkt, dass es die Rummelboodse nicht nur im Odenwald, sondern auch im Saarland und Rheinland-Pfalz gab; RB und JB weisen auf das Rübengeistern hin. Der verlinkte Wikipedia-Eintrag hat eine Liste mit verschiedenen Bräuchen und ihren Heimatregionen. — Dieser Autor vermutet, dass diese Traditionen die Verbreitung von Halloween in Deutschland erleichtert haben, weil das Grundprinzip schon bekannt ist. Etwa so, wie das christliche Weihnachten sich leichter am heidnischen Sonnenwendfest ansiedeln ließ.

    Moment, sagte jemand Heiden?

  • Der BBC nutzt Halloween als Aufmacher für eine Studie der Wicca in Großbritannien. Dort sind Pagane als Thema gerade schwer angesagt, denn das Druid Network ist offiziell als Religion [PDF] anerkannt worden. In dem Bericht wird Halloween allerdings nur als Aufmacher benutzt und dann nie wieder erwähnt. Tatsächlich lehnen tiefgläubige Pagane Halloween genauso ab wie radikale Christen. Andere sehen das lockerer:

    I’ve been Pagan for over two decades, and just don’t feel that a gaggle of kids collecting candy and dressed like the Jonas Brothers has any bearing whatsoever on my religious obligations or needs. My ancestors know that I honor them and respect them, and they don’t seem to be troubled by my love of Reese’s Peanut Butter Cups.

    Wicca feiern am 31. Oktober ausdrücklich nicht Halloween – ein angelsächsisches Kinderfest mit zunehmend weltweiter Verbreitung – sondern Samhain. Christen feiern am 24. 25. Dezember schließlich auch nicht die Sonnenwende, sondern die Geburt von Jesus Christus. Nebenbei: Resse’s Peanut Butter Cups sollten auch schleunigst eingeführt werden, direkt nach Candy Corn.

  • Beim BBC finden wir auch einen Bericht über Halloween in Großbritannien. Etwas seltsam: Einerseits soll es demnach dort herkommen (das behaupten die Inselaffen immer, auch wenn es dadurch nicht wahrer wird), auf der anderen Seite die britische Kultur gefährden, irgendwie. Es sind hier die Anhänger von Bonfire Night, die über Halloween schimpfen. Umsonst:

    The British supermarket chain Waitrose […] is selling 13% more pumpkin carving kits, 21% more decorations and a scarcely credible 676% more large pumpkins than last year.

    Das ist die amerikanische Rache für 1812. Bury them in pumpkins!

  • Noch mehr Kulturmix, weil alles verschmilzt: Ein bento ist japanisches Essen für unterwegs. Das kann man schön dekorieren, aktuell dann als Halloween-Bento. Die Schönste Germanin macht unsere abgeschnittenen Finger mit Würstchen.
  • Forschung und Entwicklung: Das Wissenschaftsblog Discover hat eine Liste der sechs gruseligsten Berichte zusammengestellt, darunter Exorcism-resistant ghost possession treated with clopenthixol:

    Many cultures give rise to apparently genuine cases of ghost possession. Neuroleptics may relieve symptoms of exorcism-resistant possession.

    Ob das gegen Zombies hilft, wurde leider nicht untersucht.

  • Spuken und lesen: Der Autor Neil Gaiman (American Gods, Sandman) schlägt eine Erweiterung von Halloween vor: Nicht nur Süßigkeiten, sondern auch Bücher sollen verschenkt werden.

    I propose that, on Hallowe’en or during the week of Hallowe’en, we give each other scary books. Give children scary books they’ll like and can handle.

    Das ist ein sehr angelsächsischer Vorschlag. Die Vorstellung, dass Sich-Fürchten zu Halloween dazugehört, hat es bislang nicht über den Atlantik geschafft. Es gibt kaum deutschsprachige Grusel-Kinderbücher (noch eine Marktlücke) und selbst Kind Nummer Eins‘ scary-Ausgabe von You Read to Me, I’ll Read to You wird von germanischen Eltern im Freundeskreis mit Sorge betrachtet. Merke: Gory rhymes with story, selbst für die Kleinen. Gaiman hat eine Website für sein Projekt aufgebaut und nennt es All Hallow’s Read.

  • Zu Apple, weil wir MacBooks erwähnt haben: Das ultimative Horror-Kostüm für Windows-Fans ist iWearDress like Steve Jobs! Wem das nicht gefällt, kann sich von amerikanischen Prominenten leiten lassen. Mit birthday suit ist dabei die Kleidung gemeint, die man zur Geburt anhatte, nämlich gar keine. Von Alyson „Willow“ Hannigans Känguru-Kostüm (mit Baby am Bauch) gibt es Fotos [JPG].
  • Über Eltern: Das „Wall Street Journal“ bespricht stranger danger und die Sorgen – benutzt wird das Wort paranoiavon amerikanischen Eltern zu Halloween. Die neuste Variante:

    Across the country, cities and states are passing waves of laws preventing registered sex offenders from leaving their homes — or sometimes even turning on their lights — on Halloween.

    Zur Erinnerung: In den meisten Bundesstaaten ist der Wohnort von Sexualverbrechern öffentlich bekannt (inzwischen auch als iPhone App mit augumented reality). Tatsächlich ist Halloween statistisch gesehen einer der sichersten Tage des Jahres, weil so viele Leute unterwegs sind. Offenbar gibt es auch keinen einzigen beschriebenen Fall von vergifteten Süßigkeiten. Trotzdem treibt die amerikanische Presse jedes Jahr die Panikmache weiter. Vermutlich ist es daher nur eine Frage der Zeit, bis ihre deutschen Kollegen ebenfalls die Hysterie-Maschine anwerfen. Diesen Teil von Halloween können die Deutschen ruhig in den USA lassen.

  • Die wirkliche Gefahr für Kinder: Verkehrsunfälle. In Deutschland dürfte sie noch größer sein, denn nicht allen Autofahrern ist bewusst, dass an diesem Abend kleine Leute in dunklen Kostümen unterwegs sind. Dieser Autor begleitet die Horde daher als „Gandalf the Yellow“: Mit leuchtend gelber Regenjacke und einem gelben Knicklicht auf einem langen Stab. So stellt er sich wenn nötig auf die Straße und brüllt mit britischem Akzent You cannot pass! während die Kinder die Fahrbahn überqueren. Funktioniert – nur den Spruch, den versteht irgendwie keiner. Vielleicht muss der Bart länger wachsen?
  • Aber die Zähne! Okay, das ist ein Problem. Der Trick ist, ganz viel auf einmal zu essen statt über Stunden immer wieder zu naschen. Und Fluoride nicht vergessen.
  • Noch mehr Jack-O-Lantrens von xkcd. Dieser Autor ist sich nicht sicher, ob er wirklich die Anspielung auf das Auswahlaxiom verstanden hat – können wir nicht bei Physik-Katzen bleiben [JPG]?
  • Schließlich die etwas andere Halloween-Kunst, denn es muss nicht immer Gemüse sein: Künstler in Großbritannien basteln Halloween-Szenen in aufklappbaren Kisten. Zum Ausschneiden und selbermachen für das Fenster.

[Mit Hinweisen von Instapundit und Frau Lostinabadbook, vielen Dank]