Wahlen, Teil 3: Der Ablauf der Vorwahlen

Januar 10, 2008

Nachdem wir uns das „Warum“ der Vorwahl angeschaut haben, geht es heute um das „Wie“.

Wir werden versuchen, es kurz zu halten, denn der Komplexitätsgrad wird sehr schnell sehr hoch. Außerdem mangelt es in diesem Jahr nicht an Erklärungen in den Medien und anderen Blogs. Zum Teil wird dort auch Alice in Wunderland eingebaut – so muss das sein.

Meistens gehen die Beschreibungen von dem Ablauf einer Vorwahl aus und verfolgen dann chronologisch, was mit den Stimmen geschieht. Wir ziehen das Ganze dagegen von hinten auf und fangen mit den Parteitagen an, den national conventions.

Wie schon beschrieben wurde dort früher der endgültige Präsidentschaftskandidat auf mehr oder weniger fragwürdige Art bestimmt. Heute wählt die Parteibasis in jedem Bundesstaat Delegierte, die einem der Bewerber verpflichtet sind. Wie viele Vertreter jeder Bundesstaat schickt, entscheidet dabei die Partei. Wer die meisten Delegiertenstimmen auf sich vereinigt, hat gewonnen.

Lassen wir das allgemeine Geschwätz und schauen uns die Zahlen an.

Die Demokraten haben 4.049 Delegierte, die sich vom 25. bis zum 28. August in Denver, Colorado treffen. Davon sind 3.253 pledged delegates, die verpflichtet sind, ihre Stimme für einen bestimmten Kandidaten abzugeben. Zudem gibt es 796 superdelegates – Senatoren, Gouverneure, Parteichefs – die nicht an einen Bewerber gebunden sind.

(Die Sache mit den Superdelegierten gehört zu den Dingen, die kompliziert werden können. Sollten sie im Laufe des Wahlkampfs wichtig werden, greifen wir diese Leute in einem eigenen Eintrag auf.)

Die Republikaner haben weniger Delegierte, nämlich 2.380. Sie kommen vom 1. bis zum 4. September in Minneapolis-St. Paul, Minnesota zusammen. Neben den 1.917 pledged delegates gibt es 463 unpledged delegates.

Für jeden Bundesstaat kann man im Internet nachschlagen, wie viele Delegierte er für welche Partei schickt, wie viele davon gebunden sind und wie das Verfahren dort genau abläuft. Da wäre zum Beispiel Iowa, wo am 3. Januar die erste Vorwahl in Form eines caucus stattfand. Bei den Demokraten wurden insgesamt 57 Delegierte vergeben, darunter zwölf Superdelegierte. Bei den Republikanern waren es 40 Delegierte, von denen drei nicht gebunden sind. Oder New Hampshire mit der Vorwahl am 8. Januar: 27 Delegierte für die Demokraten, davon fünf Superdelegierte, und zwölf Delegierte für die Republikaner, alle gebunden.

(Der aufmerksame Leser wird bei den Links etwas entdeckt haben, das uns in den USA bislang nicht begegnet ist: Die Delegierten werden nicht nach dem Prinzip der Mehrheitswahl (winner-takes-all) verteilt, sondern nach dem Verhältnis der Stimmen. Bei den Republikanern wurden in New Hamsphire John McCain sieben Delegierte zugesprochen, Mitt Romney vier und Mick Huckabee einer. Das können die Amerikaner also auch, wenn sie wollen. Allerdings wollen sie meist nicht, wie wir besprochen haben. Wir kehren beim Wahlkolleg zu dem Thema zurück.)

Jetzt zählt man während der Vorwahlen Bundesstaat für Bundesstaat bei den Republikanern und Demokraten jeweils die Delegierten zusammen, bis jemand die Mehrheit hat. Der Sieger wird dann bei den Parteitagen offiziell ausgerufen, nur dass keine Sau hinguckt, weil die Entscheidung schon gefallen ist.

Drei Dinge sind noch wichtig:

  1. Die ersten Bundesstaaten wie Iowa und New Hampshire schicken eigentlich nur wenige Delegierte. Ihre übermäßige Bedeutung liegt darin, dass Tendenzen klar werden und die ganz Hoffnungslosen danach aufhören.
  2. Eine Vorentscheidung wird beim Super Tuesday getroffen (auch Super Duper Tuesday genannt). Dabei werden in diesem Jahr am 5. Februar in mehr als 20 Bundesstaaten die Vorwahlen abgehalten.
  3. Das Wahlverfahren ist in jedem Bundesstaat anders – daher der Hinweis auf die Tabellen [PDF].

Wir sind wieder am Anfang: Wie eine Vorwahl in der Praxis abläuft. Um nicht völlig wahnsinnig zu werden, sollte man sich auf die zwei grundsätzlichen Arten von Vorwahlen beschränken: Den causus (Urwahl oder Wahlversammlung) und die primary (Vorwahl im engeren Sinne).

Die Primary ist am einfachsten: Es ist eine ganz normale Wahl mit Stimmzetteln (oder Wahlmaschinen) und Wahllokalen, die den ganzen Tag geöffnet sind, also alles nicht grundsätzlich anders als eine Abstimmung in Deutschland. Das ist die häufigere Form. Wir hatten den Unterschied zwischen „offenen“ und „geschlossenen“ Primaries schon besprochen.

Dann gibt es die Urwahl. Der Ablauf ist radikal anders und für Deutsche fremdartig. Schauen wir uns die Demokraten in Iowa an, weil die Urwahl dort von den Medien eng begleitet wird und es ein besonders aufwändiges Verfahren ist:

Die Teilnehmer kommen am Abend in ihrem Landkreis in kleinen Gruppen in Schulen, Turnhallen und Wohnzimmern zusammen und diskutieren über die Kandidaten. Dann kommt der erste Wahldurchgang: Die Anhänger eines Bewerbers stehen gemeinsam auf – keine Stimmzettel, keine geheime Wahl. Kandidaten, die weniger als 15 Prozent bekommen, werden gestrichen. Es folgt wieder eine Diskussionsphase. Hier versucht jeder, die Anhänger des anderen Lagers umzustimmen. Oder wie ein Clinton-Anhänger es beschrieb:

You hit that floor and work it and try to get them. It’s like a fun game.

Dann kommt der zweite und letzte Wahlgang.

Die Urwahl in Iowa ist, wie man sich vorstellen kann, umstritten. Kritiker sehen einen viel zu großen Einfluss von gewieften Rednern und von örtlichen Parteibonzen. Die Beteiligung ist vergleichsweise gering: Die Demokraten haben in diesem Jahr mit 240.000 Teilnehmern einen Rekord aufgestellt, aus einer Bevölkerung von drei Millionen. Und, mal ehrlich, eine nicht-geheime Wahl? Im 21. Jahrhundert?

Qualität vor Quantität, sagen die Befürworter. Auf diese Weise, so ihr Argument, beschäftigen sich die Teilnehmer sehr viel intensiver mit den Kandidaten und ihren Programmen. Das Verfahren geht über Stunden und jeder muss sich offen zu seiner Entscheidung bekennen, vor seinen Nachbaren, Freunden und seiner Familie. Da überlegt man es sich gut, wer die Stimme kriegt und vor allem warum. Hier kommt man nicht damit durch, kurz in eine Wahlkabine zu huschen und irgendwo ein Kreuz hinzuschmieren. Der Wähler muss sich in den Prozess einbringen.

Die guten Bürger des Agrarstaats beanspruchen daher für sich eine Leitfunktion bei den Präsidentenwahlen. Dass ein Sieg in ihren Maisfeldern nicht zwingend einen Sieg in ganz Amerika vorhersagt, stört sie dabei nicht wirklich, auch wenn ihre Landsleute schon mal die Augen verdrehen.

Die verschiedenen Abläufe der Vorwahl in den Bundesstaaten sind nicht nur für den politischen Beobachter aus Übersee eine Herausforderung. Auch die Kandidaten und ihre Wahlkampf-Organisationen sind gezwungen, sich von Bundesstaat zu Bundesstaat umzustellen. Es ist, wenn man so will, ein Teil der Prüfungen, die ein zukünfigter Präsident meistern muss: Wer mit der Vielfalt nicht klar kommt, scheitert.

Das Gleiche gilt auch für die körperlichen und psychischen Belastungen der Vorwahlen, die auf Europäer extrem wirken. Ohne ungalant gegenüber der teilnehmenden Dame wirken zu wollen, müssen wir festhalten: In diesem Jahr sahen die Kandidaten schon vor Iowa erschöpft aus. Die Bewerber müssen zeigen, dass sie den Druck aushalten können, über Monate hinweg. Wie es Amtsinhaber George W. Bush kürzlich mit einer gewissen Nostalgie formulierte:

The testing that takes place in the primary is part of conditioning somebody to be able to deal with the pressures of the office

Das klassische Beispiel der Neuzeit ist der „Dean Scream“ [YouTube] des demokratischen Bewerbers Howard Dean beim Vorwahlkampf 2004 in Iowa. Ob von den Medien hochgespielt oder nicht, Dean hatte sich einen Moment nicht unter Kontrolle und – wham! – war sofort draußen. Wer Präsident der USA werden will, kann sich so einen Ausrutscher nicht erlauben. Nur die Harten kommen in den Rosengarten.

Allerdings haben wir in diesem Jahr einen wichtigen Sonderfall erlebt: Man sollte schon zeigen, dass man grundsätzlich zu menschlichen Regungen fähig ist. Das finden die Wähler dann wieder gut.

Wir werden ab jetzt etwas gemächlicher über die Wahl berichten. Schließlich haben noch andere schöne Themen wie, äh, Typhus und Pocken.