Die Tour de France und dicke Amerikaner

September 29, 2006

Die Franzosen nennen die Tour de France gerne das härteste Straßenradrennen der Welt. Nun hindert Regel 1 dieses Blogs diesen Autor daran, direkt zu dieser Behauptung Stellung zu nehmen. Ihm ist es aber erlaubt darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Tour um eine Serie von Etappenfahrten handelt, dass man also jeden Tag stundenlang Pause macht, und dass auch Windschattenfahren erlaubt ist.

Beim Race Across America (RAAM) (um völlig willkürlich ein beliebiges, natürlich rein zufällig gewähltes Beispiel zu nennen) wird dagegen die Uhr an der Westküste gestartet und an der Ostküste gestoppt. Wer unbedingt meint, Pausen einlegen zu müssen, bitte, aber die Konkurrenz schläft nicht, im wahrsten Sinne des Wortes. In acht oder neun Tagen sollte man das schon durchziehen, wenn man eine Chance haben will. Das RAAM ist länger – etwa 4.800 Kilometer verglichen mit den 3.600 Kilometern der Tour – und Frankreich ist klimatisch ja vergleichsweise monoton. Es gibt dort zum Beispiel nichts, was mit der Wüste von Arizona vergleichbar wäre.

Wir halten als letzten Punkt fest, dass Amerikaner ständig die Tour gewinnen, die Franzosen aber nie die RAAM. Österreicher und Schweizer, ja, aber keine Franzosen. Deutsche übrigens auch nicht, aber wie wir gleich sehen werden, sind die mit anderen Dingen beschäftigt.

Das RAAM ist ein extremes Beispiel für eine Seite der USA, die in Europa kaum wahrgenommen wird: Eine Neigung zum Ausdauersport oder allgemeiner zur „Fitness“, wie es auf Neudeutsch heißt. Etwas weniger elitär als das RAAM ist Triathlon, dessen bekannteste Ausprägung immer noch der Ironman auf Hawaii sein dürfte – hier finden wir dann die Deutschen, die auch häufig genug gewinnen. Im Jahr 2005 absolvierten 382.000 Menschen in den USA einen Marathon, ein Zuwachs von etwa sechs Prozent zum Vorjahr. Der Deutsche Leichtathletik-Verband gibt für 2003 etwa 100.000 „Finisher“ an, was hochgerechnet auf die Bevölkerungsgröße grob den gleichen Anteil ergeben dürfte.

Laufen als Breitensport – hierzulande als „Jogging“ bekannt – wurde 1977 durch Jim Fixx angestoßen. Dass Fixx beim Laufen tot umfiel, tat der bis dahin schon weltweiten Bewegung keinen großen Abbruch. Auch die Amerikaner joggen bis heute weiter, einschließlich ihrer Präsidenten. George W. Bush ist allerdings wegen seiner Knieprobleme auf ein Mountainbike umgestiegen. Wir können noch andere Trends wie das von dem US-Sportarzt Kenneth Cooper entwickelte aerobic training aufzählen, das in den 80er Jahren von Jane Fonda als aerobics (im Deutschen oft „Aerobic“, singular) zu einer Massenbewegung gemacht wurde.

Klar ist: In den USA wurden in den vergangenen Jahrzehnten gleich mehrere Fitness-Arten erfunden. Irgendwann liefen und hüpften auch die Europäer mit und übernahmen dabei meist die amerikanischen Begriffe. Trotzdem ist das Bild des gemeinen US-Bürgers in Europa eher von Speckschwarten als von Schweißperlen bestimmt. Warum?

Ein Grund dafür liegt darin, dass es tatsächlich eine gigantische Zahl von übergewichtigen Amerikanern gibt. Die Entwicklung scheint zwar bei den Frauen zum Stillstand gekommen zu sein, aber das Phänomen bleibt aus Sicht der Volksgesundheit ein echtes, ernstes, dramatisches Problem. Amerikaner sind im Durchschnitt viel, viel, viel zu dick.

Die USA verfetten allerdings nicht allein. Auch in Deutschland spricht man von einer Epidemie und in Großbritannien und Kanada ist die Entwicklung ähnlich alarmierend. Selbst der Iran und Saudi-Arabien, beide nicht wirklich für ihre Liebe zum American way of life bekannt, haben inzwischen „massive“ Probleme. Mireille Guiliano mag mit ihrem Buch French Women Don’t Get Fat erfolgreich die Amerikaner provoziert und sich eine gute Auflage gesichert haben, aber die Wirklichkeit sieht leider völlig anders aus. Sie hat inzwischen gewarnt, dass Frankreich in zehn bis 15 Jahren so aussehen könnte wie Amerika.

Dass die USA zuerst so viele Dicke hervorgebracht haben, ist nicht überraschend. Der Zweite Weltkrieg war in Nordamerika keine wirkliche Zeit des Hungers und da das institutionalisierte Fast-Food (im Gegensatz zur Currywurst) erst spät nach Europa kam, sieht man heute in Deutschland immer noch wenige Leute mit weißen Haaren bei McDonald’s. Das wird sich ändern; bei einigen deutschen Freunden dieses Autors sind schon erste graue Ansätze zu erkennen, wenn sie in ihren Burger beißen. Bei der Vorliebe für Salz, Fette und Zucker gibt es am Ende keine großen biologischen Unterschiede zwischen den Menschen (im Gegensatz zum Root Beer). Auch viele deutsche Familien haben inzwischen zwei Autos. Wer also meint, Schadenfreude bei dem Gedanken an dicke Amerikaner empfinden zu müssen, sollte sich damit besser beeilen.

In den USA ist Übergewicht zudem viel mehr ein Thema als in Deutschland. Der Kampf gegen obesity wurde zu einer nationalen Priorität erklärt und die Medien (und erst die Werbung) reden ständig darüber, meist mit abschreckenden Bildern von dicken Bäuchen und Hintern. Wer in den USA einkaufen geht, wird mit endlosen Reihen von diet und lite (Kurzform von light) Produkten konfrontiert. Der Film Supersize Me wurde gedreht, um Amerikaner vor der Gefahr von schlechten Essgewohnheiten zu warnen. Er ist der einzige diesem Autor bekannte Belehrungsfilm, der so gut gemacht ist, dass Leute ihn sich nicht nur freiwillig anschauen, sondern dafür auch noch Geld zahlen. Dass er im Ausland ein bestimmtes Image von den USA fördert, ist eine bedauerliche, aber wohl unvermeidbare Nebenwirkung.

Die traurige Tatsache: Alle westlichen Industrieländer verfetten. Die Amerikaner haben nur früher damit angefangen und reden (mal wieder) am lautesten darüber, was die sportliche Seite des Landes oft verdeckt. Es sieht im Moment auch leider nicht danach aus, als ob Europa dem gleichen Schicksal entkommen wird – benötigt werden wie überall mehr Bewegung und eine gesündere Ernährung.

Vielleicht sollten die Franzosen diese ganzen Pausen bei der Tour de France nochmal überdenken.