Einige Bemerkungen zur Beschneidung in den USA

Juli 8, 2012

Die anhaltende Kontroverse über das deutsche Beschneidungsurteil ist eine gute Gelegenheit, kurz auf die Situation in den USA einzugehen.

Früher wäre dies ein kurzer Eintrag gewesen, denn die Regel lautete, dass etwa drei Viertel der Amerikaner die Vorhaut entfernt wurde, mit einem Höhepunkt von 80 Prozent kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Rate unter Weißen und Gebildeten ist dabei traditionell höher. Zuletzt ist die Quote jedoch deutlich zurückgegangen und lag nach Zahlen der Centers for Disease Control (CDC) 2008 bei nur etwa 57 Prozent.

Jetzt mal nicht so schnell, werden die deutschen interessierten Leser sagen. „Nur“? Was sind denn das für Quoten, 80 Prozent, 57 Prozent? So viele Juden gibt es doch nie in Amerika, von Muslimen ganz zu schweigen!

Tatsächlich hat die Massenbeschneidung medizinischen Gründe. Bekanntlich ist in Kulturen mit ritueller Entfernung der Vorhaut die Häufigkeit von gewissen Krankheiten wie Gebärmutterhals- und Peniskrebs geringer. Anfang des vergangenen Jahrhunderts wurde dafür insbesondere in den USA die Flüssigkeit unter der Vorhaut, das Smegma, verantwortlich gemacht:

In 1914, erroneous medical beliefs about smegma were compounded by influential American urologist and eugenicist Abraham Wolbarst (1872–1952), who updated the demonization of the foreskin and promulgated the idea that it harboured „carcinogenic secretions“.

Wolbarst war auch der Meinung, dass der Pöbel zu doof ist, um sich richtig zu waschen (was dieser Autor nach seinen Erfahrungen im Krankenhaus nicht komplett ausschließen würde). Deswegen sollten schon aus hygienischen Gründen alle Männer beschnitten werden. Schon vorher hatte Smegma einen schlechten Ruf, weil es angeblich die Eichel reizte und damit, oh Schreck, zur Masturbation verführte. Ironischerweise wissen wir heute, dass beschnittene Männer häufiger masturbieren als unbeschnittene, aber das nur am Rande.

Es dauerte eine Weile, bis die Mediziner herausfanden, dass a) Smegma nicht aus Drüsen stammt, sondern entsteht, wenn Bakterien die alten Hautzellen abbauen, und b) nicht krebserregend ist. Das Problem ist vielmehr, dass sich Bakterien und Viren — unter anderem HPV und HIV — an warmen und feuchten Orten wohl fühlen.

Inzwischen lautet die offizielle Position der amerikanischen Vereinigung der Kinderärzte (APA) und der American Medical Association, dass eine Beschneidung direkt nach der Geburt zwar gesundheitliche Vorteile mit sich bringt, diese aber nicht ausreichen, um den Eingriff routinemäßig zu empfehlen. Die Eltern sollen selbst entscheiden.

Das hat direkte und indirekte Auswirkungen auf die Rate der Beschneidungen: Einige Eltern lehnen den Eingriff ab und einige Versicherungen zahlen angesichts der fehlenden klaren Indikation nicht mehr dafür. Entsprechend finden wir weniger Beschneidungen in Bundesstaaten, in denen das staatliche System Medicaid nicht dafür aufkommt:

The [CDC-]report says that circumcision rates in hospitals in states where Medicaid routinely covers it were 24% higher that hospitals without the same coverage.

Und was haben wir noch bei diesem Eintrag gelernt? Dass die Rechtschreibprüfung von Mac OS X die Wörter „Smegma“, „Peniskrebs“ und „unbeschnitten“ nicht kennt. Tsk.