Barcraft und andere Bemerkungen zu Computerspielern in den USA

August 26, 2011

Angesichts der jüngsten Kontroverse über deutsche Computerspieler trennen wir uns heute schweren Herzens vom Turret-Chor [YouTube], duschen uns mal zur Abwechslung (rasieren ist allerdings zu viel verlangt) und schauen uns kurz einige Entwicklungen in den USA an.

Denn gerade hat das Wall Street Journal von einem neuen Trend in amerikanischen Sportsbars berichtet: E-Sport-Übertragungen, sprich, Computerspiele als Live-Übertragung (umformatiert):

This summer, Starcraft II has become the newest barroom spectator sport. Fans organize so-called Barcraft events, taking over pubs and bistros from Honolulu to Florida and switching big-screen TV sets to Internet broadcasts of professional game matches happening often thousands of miles away.

Die Alteingesessenen sind wohl erstmal etwas verwirrt, was allerdings auch die Reaktion dieses Autors auf seinen ersten Zerg-Sturm beschreibt. Ausgangspunkt des Trends soll das Chao Bistro in Seattle sein, dessen Besitzer – selbst ein Computerspiel-Fan – das Experiment wagte. Er und seine Kollegen in anderen Bars sind begeistert: Eine ganze neue Kundengruppe gebe es jetzt.

Wenn Journalisten von Trends sprechen, muss man bekanntlich vorsichtig sein, besonders wenn die Recherche in Bars stattfand. Aber Google gibt uns unter „Barcraft“ genug Treffer, dass wir die Entwicklung nicht von der Hand weisen können. Auch die Kanadier ziehen mit, natürlich:

How exactly does a game like Starcraft stack up against hockey? „As a viewer, you can see both player’s strategies unfold,“ describes [Organisatorin Lorin] Halpert, „There is a real tension as you watch the players attempt to discover the others plan.“

Das gelobte Land der Profispieler ist dabei offenbar Südkorea. Das wirft für uns die Frage auf, ob es sich um einen Fall von koreanischem oder amerikanischem Kulturimperialismus handeln wird, wenn die Welle wieder unweigerlich nach Deutschland schwappt.

Aber Moment, ist das wirklich so unweigerlich?

Es gibt schließlich Unterschiede zwischen der spielenden Bevölkerung in Deutschland und den USA. Der Bundesverband Interaktive Software (BIU) hat vor einigen Tagen eine Studie veröffentlicht, demzufolge der durchschnittliche deutsche Spieler 31 Jahre alt ist. Vergleicht man die entsprechenden Zahlen der Entertainment Software Association (ESA), sehen wir, dass das Durchschnittsalter in den USA merklich höher ist:

The average gamer is 37 years old and has been playing for 12 years.

In der höchsten Altersgruppe — „über 50“ bei beiden Untersuchungen — wird der Unterschied krasser. Für die USA gilt (Hervorhebung hinzugefügt):

In 2011, 29 percent of Americans over the age of 50 play video games, an increase from nine percent in 1999.

In Deutschland beträgt der Anteil laut BIU dagegen gerade einmal 14 Prozent.

Dieser Autor würde diese Zahlen als Beleg für eine Vermutung sehen wollen: Dass die Kontroverse in Deutschland über Computerspiele wesentlich stärker die Züge eines Generationen-Konflikts hat als entsprechende Diskussionen in den USA. Auf der einen Seite stehen dabei vereinfacht gesagt die Politiker (und Redakteure) im meist etwas höheren Alter, die Chell nicht von Princess Peach Toadstool unterscheiden können und Computerspieler für eine soziale Randgruppe halten. Auf der anderen stehen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, für die es eine normale Freizeitbeschäftigung ist.

Wirklich belegen kann dieser Autor die These allerdings nicht. Die Diskussion wird schnell kompliziert, weil auch allgemeine kulturelle Unterschiede eine Rolle spielen: Da die meisten Blockbuster-Spiele aus den USA stammen, nehmen die Macher in Sachen Jugendschutz mehr Rücksicht auf das bereits besprochene Nacktheits-Tabu der Amerikaner bei Kindern statt auf die deutsche Gewalt-Phobie.

Auch die juristische Lage ist völlig anders: Im Juni erklärte das Supreme Court ein kalifornisches Verkaufsverbot von gewalttätigen Computerspielen an Kinder mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit für verfassungswidrig:

„As a means of assisting concerned parents it (the law) is seriously overinclusive because it abridges the First Amendment rights of young people whose parents (and aunts and uncles) think violent video games are a harmless pastime,“ wrote Justice Antonin Scalia for the majority.

Sprich, hier haben die Eltern zu entscheiden, nicht der Staat. Dagegen ist die Zensur in Deutschland auch im europäischen Vergleich ungewöhnlich streng — aus Call of Duty: Black Ops wurde selbst das Rolling-Stones-Lied „Sympathy for the Devil“ entfernt — und reicht bis zur Beschlagnahme von Spielen. Das bringt uns zurück zu der allgemeinen Frage der Zensur.

Was die unterschiedliche Altersverteilung bewirkt und ob sie eine Ursache oder eine Folge des unterschiedlichen Umgangs ist, ist damit nicht mehr leicht zu erkennen. Viel zu schwierig für auf jeden Fall für einen Eintrag, der eigentlich kurz sein sollte.

Fassen wir zusammen: In einigen amerikanischen Sportsbars kann man offenbar an gewissen Tagen eher Hydralisken als Home Runs sehen. Wenn ein Amerikaner sich bei einem Online-Spiel „Gray Fox“ nennt, muss das nicht eine Anspielung auf Metal Gear sein. Und wir werden wohl einfach abwarten müssen, ob in deutschen Sportsbars irgendwann auch Starcraft 2 übertragen wird.

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