Eine Bemerkung zum Verhältnis der Amerikaner zu ihren Medien

Juli 15, 2011

Just 29% of Americans say that news organizations generally get the facts straight, while 63% say that news stories are often inaccurate.

Pew-Studie zu US-Medien, September 2009

Das deutsche Fernsehprogramm enthält für Amerikaner viele Rätsel. Von zu Hause aus sind sie ordentliche Anfangszeiten gewohnt: Sendungen beginnen und enden zur vollen oder halben Stunde. Bei PBS startet The Electric Company zum Beispiel um 18.30 Uhr. In Deutschland herrscht dagegen ein Chaos, das alle Vorurteile über die ordentlichen Germanen Lügen zu strafen scheint. Warum fängt, sagen wir mal, Unsere Kleine Farm bei Kabel 1 um 11.05 Uhr an? Ist das ein Druckfehler?

Der aufmerksame Amerikaner bemerkt außerdem, dass in Deutschland 20.15 Uhr eine besondere Bedeutung haben muss. So gut wie alle Sender synchronisieren ihr Abendprogramm auf diese Zeit, und Programmführer haben eigene Spalte dafür. Aber was ist so toll an 20.15 Uhr? Warum nicht 20.00 Uhr oder 20.30 Uhr?

Es ist erfahrungsgemäß schwierig, Amerikanern die Bedeutung der Tagesschau zu erklären. Die Vorstellung, dass bis zu einem Drittel der deutschen Zuschauer gleichzeitig dieselbe Nachrichtensendung gucken, erinnert ältere Amerikaner vielleicht noch an die Tage des legendären Nachrichtensprechers Walter Cronkite in den 60ern. Jüngere Semester gucken nur verständnislos.

An schlechten Tagen versucht dieser Autor es gar nicht zu erklären und behauptet einfach, die Tagesschau gehöre zu einem urgermanischen Kult, dessen wichtigste Symbole eine große, freundliche Maus auf zwei Beinen und ein kleiner, blauer Elefant seien. Dann ist wenigstens Ruhe.

Der etwas ernstere Hintergrund ist dass Amerikaner und Deutsche eine andere Beziehung zu ihren jeweiligen Medien haben. Kurz gesagt ist in den USA der Respekt für Journalisten, Zeitungen und Nachrichtensendungen sehr, sehr viel geringer. Mehr noch, Amerikaner trauen ihren Medien schlicht nicht, wie man an den Zahlen am Anfang dieses Eintrags sieht. Und dieses Misstrauen steigt:

The percentage of Americans who distrust the media has been steadily climbing since the mid 1990s, when distrusts in the news media rated hovered around 45 percent.

Im Extremfall schlägt das in die offene Verachtung für die sogenannte mainstream media (MSM) um, die der interessierte Leser aus dem Internet kennen wird. Der Kontrast zu dem Vertrauen, das in Deutschland insbesondere der Tagesschau entgegengebracht wird, ist krass.

Wir werden uns heute nicht mit der Frage beschäftigen, ob amerikanische Journalisten das verdient haben –

(Wer sich doch in die Debatte vertiefen will, kann mit der Analyse „Why Americans Hate the Media“ von James Fallows aus The Atlantic einsteigen:

Why has the media establishment become so unpopular? Perhaps the public has good reason to think that the media’s self-aggrandizement gets in the way of solving the country’s real problems

Der Artikel fängt mit einer Fernsehdiskussion zwischen Soldaten und Journalisten an, die bei diesem Thema gerne zitiert wird.)

– sondern was das für Deutsche bedeutet, die sich über Amerika informieren wollen. Denn ein großer Teil der deutschen Vorstellungen über die USA stammt immer noch aus den deutschen Medien, die wiederum viel Material von ihren amerikanischen Kollegen übernehmen. Unausgesprochen bleibt dabei die Annahme, dass die US-Medien ein wahrheitsgemäßes Bild von dem Leben in Amerika zeichnen.

Ein großer Teil der Amerikaner dürfte diese Vorstellung amüsant finden. Nicht umsonst füllt der Wikipedia-Eintrag zu dem Vorwurf, die amerikanischen Medien bevorteilten (wahlweise) die eine oder andere politische Strömung, mehrere Bildschirmseiten. Und die Politik ist nur den Anfang. Im Mittleren Westen beschwert man sich über die Nachrichtenfuzzis an der Ostküste, die angeblich keine Ahnung haben, wie es im Herzen Amerikas wirklich zugeht:

[A]s is so often the case, East Coast-based media outlets fail to understand the larger context; the threat of tornadoes for those who live in the Midwest isn’t just a series of breaking stories, but more of a way of life.

Auch bei der Sportberichterstattung finden wir den Vorwurf eines East Coast Bias: Teams aus dem Osten werden demnach von den Medien bevorzugt behandelt.

Wie gesagt, wir gehen hier nicht auf die Frage ein, ob das alles wirklich so ist. Das ist ein zu umstrittenes Thema für dieses bescheidene Blog. Erst recht soll nicht behauptet werden, die Berichte amerikanischer Medien über die USA seien irreführend oder gar falsch. Man sollte nur im Hinterkopf behalten, dass der gemeine Amerikaner Journalisten kaum mehr über den Weg traut als Politikern oder Gebrauchtwagenhändlern und beim Medienkonsum eine ausgeprägte Grundskepsis mitbringt. Selbst beim Sport.

Was uns zu einem weiteren Rätsel der deutschen Fernsehkultur führt: Warum die Sportschau am Samstag zwar um 18.00 Uhr beginnt — immerhin eine vernünftige, fast amerikanische Zeit — aber kaum jemand Stress macht, wenn er die erste halbe Stunde verpasst. Dahinter steckt bestimmt wieder der Maus-Kult …

[Mit Dank an LP für die Beratung zum Sportprogramm]

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