Böse Pflanzen und gefährliche Tiere

Dezember 2, 2009

Dieser Autor hat endlich die Zeit gefunden, sich den Animationsfilm Coraline anzuschauen. Die Geschichte stammt nicht, wie man denken könnte, von Tim Burton, sondern geht auf Neil Gaiman zurück. Der interessierte Leser sollte Gaiman entweder von American Gods oder The Sandman kennen, mindestens aber von Good Omens, ein Gemeinschaftswerk mit Terry Pratchett.

In Coraline (nicht: „Caroline“) treffen wir auf ein gleichnamiges Mädchen, das mit ihren Eltern aus Michigan an die Westküste nach Oregon zieht. Zu ihren ersten Abenteuern im verregneten Bundesstaat gehört, dass sie poison oak anpackt und sich die entsprechenden brennenden, juckenden, roten Quaddeln holt.

Der Vorfall ist für uns aus zwei Gründen interessant.

Erstens, er erinnert uns daran, dass die Natur in Nordamerika sehr viel unfreundlicher ist als in Westeuropa. Wir hatten in einem anderen Zusammenhang schon von Bären gesprochen, die selbst in östlichen, (vergleichsweise) dicht besiedelten Bundesstaaten wie Virginia herumlaufen (Hervorhebung im Original):

If there is a bear in your house prop open all doors to the outside and get out of the way of the exit. Never close a bear into a room. Make noises and yell at bear to leave the house. Don’t approach the bear but make sure it knows it is violating your territory.

Dazu kommen noch Pumas, Alligatoren [PDF], Wölfe, Kojoten und die echten Killer-Tiere, Rehe und Elche. Weiter hätten wir vier giftige Schlangenarten (Rattlesnake, Cottonmouth Moccasin, Copperhead, Coral Snake) sowie Skorpione.

Die Gefahr durch diese größeren Tiere sind Dank Film und Fernsehen auch in der Alten Welt bekannt. Es sind die „kleineren“ Gefahren, mit denen die Europäer schlechter zurecht kommen, angefangen mit einem Mangel an Respekt vor den diversen Giftspinnen (darunter die sechsäugige Brown Recluse Spider und die Schwarze Witwe).

Touristen neigen auch dazu, in den Südstaaten barfuß herumzulaufen, da sie nicht wissen, dass mit den Sklaven hookworms (Fadenwürmer) aus Afrika eingeschleppt wurden. Das ist der Grund, warum Eltern in diesen Teilen der USA eine gewisse Besessenheit bei dem Schuhwerk ihrer Kinder zeigen (sollten):

Always wear shoes when walking outdoors.

Auch für echte Männer und Frauen dort gilt die Regel, dass man bei der Gartenarbeit Handschuhe tragen sollte, wenn man nicht eine Wurmkur durchmachen will.

Ein neueres Problem sind Bienen. Hintergrund ist einer der blöderen Ideen der modernen Landwirtschaft: Südafrikanische Bienen wurden in den 50er Jahren nach Südamerika importiert, um die Ausbeute zu erhöhen. Dort entkamen sie und wurden zu einer hoch aggressiven Hybrid-Art, die sich schnell nach Norden ausbreitete. In den 80er Jahren erreichte sie Mexiko, 1993 wurde der erste Mensch in den USA zu Tode gestochen.

Formell werden diese Bienen Africanized honey bees genannt, aber die amerikanische Presse hat einen griffigeren Namen gefunden: killer bees. Der Umgang mit ihnen gehört inzwischen zu den Lebensweisheiten für Kinder:

A bee can obtain speeds of from 12 to 15 miles per hour [24 Kilometer pro Stunde], but most healthy humans can outrun them. So, RUN! And when you run Keep Running! Africanized honey bees have been known to follow people for more than a quarter mile [400 Meter].

Und bitte nicht wie im Film ins Wasser springen, weil die Bienen einfach warten, bis man wieder auftaucht. Die „Killer-Bienen“ erklären auch, warum einige Süd-, Mittel- und inzwischen auch Nordamerikaner in Deutschland beim Anblick einer friedfertigen, wohlerzogenen, stoisch in ihre Arbeit vertieften europäischen Honigbiene panikartige Symptome zeigen. Inzwischen werden Sportvereine nach den Biestern benannt, eine Form der kulturellen Anpassung.

Und das bringt uns zurück zu Pflanzen, denn trotz des Liedes Poison Ivy von den Coasters ist das eine eher unbekannte Gefahr für Europäer. Poison Ivy, Poison Oak und poison sumac sind drei Arten, die den Giftstoff Urushiol enthalten. Der Merkspruch für Kinder lautet:

Leaves of three, beware of me

So ungefähr jeder Amerikaner hat eine Geschichte über einen peinlichen Vorfall parat (oder wenn es so richtig peinlich war, über einen Vorfall, der jemand anders passierte). Die Behörden überschlagen sich mit Warnhinweisen.

Moment. Warum weiß Coraline dann nicht, wie Poison Oak aussieht? Wie doof ist die denn?

Zu ihrer Entschuldigung muss man wissen, dass es zwei Sorten der Pflanze gibt, Atlantic Poison Oak (toxicodendron pubescens) an der Ostküste und Pacific Poison Oak (Toxicodendron diversilobum) an der Westküste. Das Mädchen aus Michigan hat einfach die Pflanzenwelt Oregons noch nicht drauf.

Und das bringt uns zu dem zweiten Grund, warum die Szene interessant ist. Sie zeigt uns, dass auch Amerikaner nicht wissen, welche Gefahren in anderen Landesteilen lauern. Das schnell Bevölkerungswachstum im Südwesten der USA bedeutet zum Beispiel den Zuzug von Leuten, die ahnungslos Vogelhäuser aufstellen und damit Kojoten anlocken, die danach ihre Haustiere fressen:

Feed your pets inside, and never leave them unattended, especially at dusk and dawn when coyotes are most active. If it’s necessary to leave a small pet outside unattended, keep it in a sturdy enclosure with a roof.

Es gibt zahlreiche andere Beispiele: Eine Bekannte aus Seattle erzählt gerne, wie sie sich einmal in Las Vegas zum Entsetzen der Einheimischen auf eine Wiese setzte. Auf eine Wiese! Welcher Wahnsinn! Im Bundesstaat Washington gibt es halt keine Skorpione wie in Nevada.

Das Fazit für Europäer ist: Wer in die USA reist oder gar dahin umzieht, soll er sich bei den Leuten vor Ort schlau machen, was die Gefahren von Klima, Tier- und Pflanzenwelt angeht, nicht bei einem beliebigen Amerikaner.

Und das schließt natürlich diesen Autor mit ein, der auch nur weiß, wie man Brandenburger Killer-Eichhörnchen abwehrt.

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