ZEUGS: Dr Pepper, Polanski und Patriotismus

Oktober 1, 2009

Freudige Kunde von der Frontlinie des Kulturimperialismus: Der Getränkehandel im Dorf berichtet über einen stetigen Absatz von Dr Pepper. Wir erinnern uns, das ist das amerikanische Getränk, mit dem der deutsche Vertreiber Schweppes offenbar ein Marketing-Experiment durchführt: Wie schnell steigen die Verkaufszahlen eines Produkts, wenn man keinerlei Werbung dafür macht und es allgemein so behandelt wie Aschenputtel?

Mit dieser Strategie kann dieser Autor gut leben – bitte, wenn die Leute kein Geld verdienen wollen. Aber es wäre schön, wenn man endlich auch in Deutschland etwas größeres als eine 0,5-Liter Flasche bekommen könnte. Bitte bitte?

  • Zur Grobstruktur: In diesen Tagen sieht man wieder, warum der wichtigste Text dieses Blogs vom allgemeinen Aufbau der USA handelt. Der mutmaßliche Kinderschänder Roman Polanski soll nach Kalifornien ausgeliefert werden, und was will Polen tun? Präsident Barack Obama um eine Begnadigung bitten. Dieser von der europäischen Presse kritiklos übernommene Satz treibt nicht nur diesen Autor zur Verzweiflung, sondern auch den Juristen Andrew Hammel von German Joys:

    Europeans, please listen very carefully: The President cannot pardon or grant clemency to Polanski, because Polanski was convicted under state law, not federal law. Please get this into your heads, European journalists: American federalism is a thousand times more federalist than in any European country.

    Da Kalifornien wie alle Bundesstaaten ein eigenes, vom Bund getrenntes Justizsystem hat, ist Obama machtlos. Für ein Gnadengesuch kommt nur Gouverneur Arnold Schwarzenegger in Frage, was nach kalifornischem Recht allerdings nicht so einfach ist. Ob wenigstens die polnischen Medien auf diesen Zusammenhang hingewiesen haben, weiß dieser Autor leider nicht.

  • Zur Grobstruktur, nochmal: Ein schönes Beispiel für die Eigenständigkeit der Bundesstaaten ist die Frage, ob Radarwarngeräte „in den USA“ legal sind. Schauen wir uns die Tabelle in der Wikipedia an, so finden wir: In Deutschland verboten, in Großbritannien erlaubt, in der Schweiz verboten, etc. pp, bis wir beim Eintrag zu den USA wieder den berühmten Satz finden: law varies from state to state. Was sonst.
  • Zur Meinungsfreiheit: Diese Woche findet in den USA die Banned Books Week statt, in der die amerikanischen Bibliotheken und Buchläden zum Kampf gegen Verbote und Verbotsversuche aufrufen. Wir erinnern uns: Zensur findet wenn überhaupt nur auf kommunaler Ebene statt. Entsprechend kann man eine Karte auf Google Maps von den Orten erstellen, wo Druck ausgeübt wurde, bestimmte Dinge aus den Regalen zu nehmen. Eine solche Karte wäre in Deutschland natürlich eher sinnlos, weil eine Indizierung gleich bundesweit gilt.
  • Zur Religionsfreiheit: Das Oberste Gericht befasst sich mit einer typisch amerikanischen Frage zur Religion: Darf auf Bundesland in der Mojave-Wüste ein Ehrenmal für die Toten des Ersten Weltkriegs in Form eines Kreuzes stehen? Schließlich verbietet die Verfassung die Bevorzugung einer Religion. Der Streit wurde von einem Katholiken losgetreten, ausgerechnet:

    „The cross is important to me because it is the indispensable symbol of the death and resurrection of Jesus Christ,“ [Frank] Buono said in an interview. „But it isn’t right that the symbol of my religion, or any religion, be permanently affixed to federal land.“

    Die Buddhisten sind gepisst, weil sie dagegen dort keinen Schrein bauen durften, die Veteranenverbände der Juden und Muslime sind auch nicht glücklich und die Bürgerrechtsgruppe ACLU ist schon aus Prinzip dagegen. Die Gegenseite hat eine Website aufgestellt und druckt T-Shirts. Ein Urteil wird am 7. Oktober erwartet.

  • Zu Patriotismus: Ein gängiges Vorurteil in Deutschland lautet, dass Amerikaner mutterlandsverliebte Hyperpatrioten sind. Gar nicht wahr, berichtet The Economist: Die USA liegen beim Nationalstolz hinter Australien, Kanada, Finnland, Österreich (ja, das Österreich), Singapur, Indien, China, Frankreich, Spanien und Chile. Dass die Australier sich für etwas Besseres halten (ironischerweise auch beim Thema Patriotismus) und die Kanadier schon immer unausstehlich arrogante Bastarde waren, ist bekannt, zumindest unter Angelsachsen. Aber dass die Amerikaner beim Nationalstolz gleich so weit hinter ihren Geschwistervölkern liegen, wundert auch den Economist etwas:

    Americans, normally a patriotic and positive bunch, are perhaps being affected by the recession.

    Oder die Befragung fand außerhalb der Football-Saison statt, wenn niemand in Amerika gut drauf ist. Deutschland folgt übrigens zwei Plätze hinter den USA (und damit vor Großbritannien). Zumindest relativ gesehen sind die Amerikaner damit tatsächlich patriotischer als die Deutschen.

  • Zu pwnd: Wir müssen nicht auf Leet-Speak zurückgreifen, um Wörter ohne Vokale zu finden. Das gibt im Englischen auch so, zum Beispiel cwm – ausgesprochen etwa wie „kuhm“ – eine besondere Tal-Form. Das Wort stammt aus dem Walisischen. Bekanntlich ist Wales seit 1283 von den Engländern besetzt, da färbt schon mal etwas ab.
  • Zu Korrelation und Wahlkampfspenden: Der interessierte Leser MP weist auf das deutsche Mierscheid-Gesetz [PDF] hin, das wir in diesem Zusammenhang tatsächlich hätten erwähnen sollen:

    Der Stimmenanteil der SPD richtet sich nach dem Index der deutschen Rohstahlproduktion der alten Länder – gemessen in Millionen Tonnen – im jeweiligen Jahr der Bundestagswahl.

    Offenbar ist, äh, 2009 nicht das beste Jahr für Stahl. Für unsere interessierten nicht-deutschen Leser: Jakob Maria Mierscheid ist ein berühmter Bundestagsabgeordneter. Etwas faul, eher pressescheu, aber berühmt, unter Journalisten sogar berüchtigt.

[Korrigiert 19. Oktober 2009: Richtige Aussprache von „cwm“. Zuerst gesehen von BK, vielen Dank]