Magenta, Riff-Raff und American Gothic

August 17, 2009

Nachdem man die neuen Wohnzimmer-Regale aufgestellt hat, die den Fernseher, den DVD-Player und die Stereo-Anlage fassen, muss man natürlich die Akustik testen. Wenn die Familie unterwegs ist und die Nachbarn im Urlaub sind, geht das so: Man legt die Rocky Horror Picture Show in den DVD-Player, stellt den Laptop auf das vorgesehene Regal (zu dem das DVI-HDMI-Kabel jetzt versteckt hinter den Büchern geführt wird) und dreht die Lautstärke auf, bis die Festplatte Lesefehler meldet. Wer schon eine SSD hat, muss sich mit klirrenden Fenstern begnügen.

Die Katze sollte man vorher herauslassen.

Mit den kulturellen Anspielungen in der RHPS könnte man Tage verbringen (eine Reihe davon sind generationsgebunden und auch diesem Autor erst nach einer „kommentierter Sichtung“ mit den Ehrenwerten Eltern verständlich). Sie kommen nicht nur in dem gesprochenen, gesungenen und auch gehörten Text (wie die Abschiedsrede von Präsident Richard Nixon, die (mysteriöserweise) im Autoradio läuft) vor, sondern auch in einzelnen Einstellungen.

Nehmen wir die Szene [JPG] nach der Hochzeit, als Magenta und Riff-Raff sich nebeneinander mit dem Rücken zur Kirchentür hinstellen. Allein die sehr unreligiöse Mistgabel sollte die kulturellen Alarmglocken schrillen lassen. Da ist doch was im Busch?

Tatsächlich ist diese Einstellung eine von Abertausenden Anspielung in den USA auf das Bild American Gothic von Grant Wood aus dem Jahr 1930. Es zeigt einen Mann und eine Frau vor einem weißen Haus, das ein Fenster im Gotik-Stil aufweist. Die Frau guckt unglücklich, der Mann blickt streng. Ohne hier in die Bildanalyse abzudriften, können wir festhalten, dass es nicht das fröhlichste Paar der Welt ist – falls es überhaupt ein Paar ist, wie der Künstler Mel Andringa bemerkt:

[I]t gives a twist to the picture if you think of those jokes about the father’s daughter, protecting her virginity with a pitchfork.

Wood war klug genug, keine Interpretation zu liefern. Er stritt nur Zeit seines Lebens ab, dass er sich über Landbevölkerung im Mittleren Westen lustig machen wollte, was dem Bild häufig unterstellt wird.

Deutsche in den USA sollten wenigstens von dem Gemälde gehört haben, denn Woods Stil wurde entscheidend von einem Aufenthalt in München beeinflusst. Die eigentliche Inspiration zu diesem Bild kam ihm bei einer Reise durch Iowa, als er das Haus sah (das immer noch steht). Gebaut wurde es 1881 bis 1882 von Catherine und Charles Dibble. Das Fenster folgt dem Stil des Carpenter Gothic, eine nordamerikanische Architektur-Bewegung im 19. Jahrhundert. Auch die Modelle sind bekannt: Die Frau ist Woods Schwester Nan Wood Graham und der Mann ist der Zahnarzt der Familie, B.H. McKeeby. Sie sehen verdächtig aus wie Magenta und Riff-Raff.

Es gibt inzwischen so viele Parodien des Bildes [Bilderstrecke] und Anspielungen darauf, dass die englische Wikipedia dazu einen eigenen Eintrag führt. Viele sind politisch, andere sind Werbungen, wie die für die TV-Serie The Simple Life mit Paris Hilton und Nichole Richie [JPG].

Auch Privatpersonen machen mit. In einigen Fällen ist die Mistgabel nur angedeutet – passend zu air guitar und air sex gibt in den USA auch air pitchfork. Als Amerikaner versteht man die Anspielung trotzdem.

Der Regal-Test wurde übrigens durch die Rückkehr der Familie unterbrochen. „Der hat ja Kleidung wie ein Mädchen an!“ rief Kind Nummer Eins erstaunt und brachte selbst die Schönste Germanin vorübergehend in Erklärungsnot. Beide Kinder sind zwar zu jung für den Film – was genau mit Meatloaf passiert, ist schließlich nicht schön – aber nicht für den „Time Warp“. Eine wichtige Familientradition, die mindestens auf die Ehrenwerte Mutter zurückgeht, hat die nächste Generation der Familie Stevenson erreicht.

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