Nachdem ein offenbar psychisch kranker 17-Jähriger in Winnenden mehrere Menschen erschossen hat, werden in der Politik wieder Rufe nach einem kompletten Verbot von „Gewaltspielen“ laut. Dabei ist insbesondere von Counter-Strike die Rede (oft falsch „Counterstrike“ geschrieben), denn dabei könne man realistische Kampfszenen einüben.
Das führt zur Frage, was man dann in Deutschland mit America’s Army (AA) machen würde, dem offiziellen first person shooter des US-Heeres. Selbst wer sich oberflächlich damit befasst, sprich, nur die Wikipedia bemüht, weiß, dass das Spiel noch realistischer als Counter-Strike ist:
America’s Army is a round- and team-based tactical shooter game similar to Counter-Strike with the player depicted as a soldier in the U.S. Army. […] Another game review concurs describing America’s Army as „the most realistic portrayal of weapons and combat of any game“.
Auch an Fans fehlt es nicht. Schon nach der Veröffentlichung 2002 wurde das Spiel begeistert angenommen:
Über 800.000 Zocker haben einfache taktische Verhaltensregeln für einen virtuellen Krieg gelernt, sind durch den hohen Realismus- und Detailgrad des Spiels in den Bann gezogen. Über 800.000 virtuelle Krieger ziehen in einen Computerkampf, der noch nie zuvor so realistisch war.
Inzwischen stellt AA laut Guinness mit knapp zehn Millionen Benutzern die „größte virtuelle Armee der Welt“ und ist das „am häufigsten heruntergeladene Kriegsspiel“. Es gehört – je nach Quelle – zu den fünf oder zehn beliebtesten Online-Spielen.
Regelmäßige Leser dieses Blogs wissen, dass bislang nur der co-op shooter Left 4 Dead es geschafft hat, diesen Autor eine nennenswerte Zeit von seinem geliebten Besiedlungsspiel Civilization IV wegzulocken. AA hat er für diesen Eintrag soweit angespielt, dass er das Motto kennt –
Empower yourself. Defend freedom.
– und jetzt weiß, dass er beim Abfeuern einer M16A2 nicht einatmen sollte, weil man sonst verzieht. Anders formuliert, er hat keine wirkliche Erfahrung mit dem Spiel. Wir werden uns daher mit dem Hintergrund begnügen und die Spieldetails den Rezensionen überlassen.
AA geht auf eine Idee von Casey Wardynski von der Militärakademie West Point zurück. Im Jahr 1999 fragte er sich, wie man computerinteressierte Jugendliche für die Armee gewinnen könnte. Ihm fiel auf, dass seine beiden Söhne Computerspiele liebten. Insbesondere der Ältere, damals offenbar 14 Jahre alt, war ein großer Fan von Delta Force.
Wardynski kam auf die Idee, ein kostenloses, frei zugängliches, aber qualitativ hochwertiges Spiel zu schaffen, dass engaging, informative and entertaining sein sollte [PDF].
„Kostenlos“ heißt, dass der Benutzer nicht für das Spiel bezahlen muss – der amerikanische Steuerzahler dagegen steckte bis zur ersten Version zwischen sechs und acht Millionen Dollar in die Entwicklung. „Frei zugänglich“ schließt die Menschen in Kuba, Libyen, Nordkorea, dem Iran, Syrien und dem Sudan aus, die von Exportverboten betroffen sind. Dort muss man sich wohl mit Counter-Strike begnügen.
Bei der „Qualität“ ging es den Machern nach eigenen Angaben nicht nur um die Grafik – benutzt wurde die damals ganz neue Unreal Engine 2 – sondern auch um die Wissensvermittlung. Bevor man in den Krieg ziehen kann, muss man eine Grundausbildung absolvieren. Viel ist über die Erste-Hilfe-Ausbildung in dem Spiel geschrieben worden. In den amerikanischen Medien findet man immer wieder Berichte über Spieler, die damit Leute gerettet haben sollen.
Es sollen aber auch Werte vermittelt werden, wie die sieben Army core values:
loyalty, duty, respect, selfless service, honor, integrity and personal courage
Es wird die Bedeutung der Teamarbeit betont. Bei Fehlverhalten werden „Ehrenpunkte“ abgezogen. Wenn sie aufgebraucht sind, kann die Figur im Gefängnis landen oder der Spieler vom Server ausgesperrt werden.
Auf der Website von AA werden als Vorbilder real heroes wie die Sanitäterin Monica Brown vorgestellt. Sie wurde für die Rettung von zwei verwundeten Kameraden unter schwerem Feuer in Afghanistan mit dem Silver Star ausgezeichnet. Inhaltlich deckt sich die Beschreibung des Vorfalls mit der Darstellung in den Medien [Video]. Brown war 18 Jahre alt.
Das Heer macht keinen Hehl daraus, dass AA zur Rekrutierung dient. In dem Abschnitt der FAQ für Eltern wird die Frage mit einem langen Absatz über die Bedeutung qualifizierter Bewerber für eine Freiwilligen-Armee beantwortet, den man mit dem Wort „ja“ zusammenfassen kann. Einer der acht Haupt-Menüpunkte auf der Website heißt „U.S. Army“ und liefert Hintergründe zu den „stärksten Streitkräften der Welt“. Von dort aus geht es weiter zu der Rekrutierungs-Site Go Army.
Es mangelt nicht an Kritik. Verkehrte Welt: Während Gegner von First Person Shootern oft blood and gore bemängeln, ist ihnen AA nicht blutig genug – es werde ein „sauberer Krieg“ präsentiert. Die gleiche Diskussion kennen Cineasten von Kriegsfilmen, wo ständig fehlender Realismus bemängelt wird, außer natürlich die Macher von Saving Private Ryan kommen auf die Idee, in der Eröffnungssequenz [YouTube] tatsächlich abgesprengte Gliedmaßen und herausgerissene Eingeweide zu zeigen.
Die massivsten Einwände gibt es in den USA gegen die vermeintliche Zielgruppe. AA hat von der ESRB die Altersempfehlung „T“ für „Teen“ erhalten – ab 13 Jahre. Die Organisation Washington Truth in Recruiting wirft den Spielmachern vor, gewisse Einstellungen zur Armee in einem sehr jungen Alter unterschwellig einzuprogrammieren zu wollen. Die Gruppe Veterans for Peace hat dafür den Begriff der military pedophilia geprägt.
Das Heer sieht keine Probleme mit dem Alter. In der Schule lernten die Kinder, wie das Militär im Unabhängigkeitskrieg die Freiheit erkämpft und sie später gegen Adolf Hitler verteidigt habe. Im Spiel lernten sie dann, was ein einzelner Soldat dafür leisten müsse.
The game provides a virtual means to explore a variety of Soldier experiences […] so that young adults can see how our training builds and prepares Soldiers to serve in units in defense of freedom.
Anderen Kritikern wie Nick Turse von der Columbia University fehlt die Dimension des „Warum“, sprich, eine Auseinandersetzung über den Sinn von Kriegen und möglichen Alternativen:
This is less a matter of simple military indoctrination than near immersion in a virtual world of war where armed conflict is not the last, but the first — and indeed the only — resort.
Im Sommer 2008 fanden sich „einige Dutzend“ Demonstranten vor dem Gebäude des Spiele-Vertreibers Ubisoft in San Francisco mit Transparenten wie War is not a game ein.
Die neue, verbesserte, dritte Version von America’s Army (AA3) soll in diesem Jahr erscheinen. Ziel ist es nicht nur, eine bessere Grafik zu liefern, sondern auch inhaltlich noch realistischer zu werden. Das US-Militär