Der Krieg gegen Japan, Teil 6: Das Schicksalswort mokusatsu

März 7, 2009

mokusatsu – suru, v. take no notice of; treat (anything) with silent contempt; ignore [by keeping silence]; remain in a wise and masterly inactivity.

– Kenkyusha’s New Japanese-English Dictionary, zitiert in einer Analyse der NSA [PDF]

Am 26. Juli 1945 veröffentlichten die USA, Großbritannien und China die Potsdamer Erklärung, eine ultimative Aufforderung an Japan, die Waffen ruhen zu lassen. Hintergrund war die Hoffnung von Politikern wie US-Kriegsminister Henry Stimson, die Kämpfe durch Verhandlungen zu beenden und eine Hungerblockade, Invasion und/oder den Einsatz der Atombombe zu umgehen. Japan wurden dabei bessere Bedingungen angeboten, als sie Deutschland erhalten hatte.

Aus alliierter Sicht passierte danach folgendes:

Am Morgen des 28. Juli berichteten die japanischen Zeitungen über die Antwort ihrer Regierung: Die Potsdamer Erklärung werde zurückgewiesen, nein, abgeschmettert – „Asahi Shimbun“ wählte zum Beispiel die Schlagzeile [A] Laughable Matter. Am Nachmittag trat Ministerpräsident Kantaro Suzuki vor die Presse und erklärte zu dem Dokument (Hervorhebung hinzugefügt) [3]:

As for the Government, it does not find any important value in it, and there is no other recourse but to ignore it entirely and resolutely fight for the successful conclusion of the war.

Tatsächlich schien Suzukis Antwort noch harscher als sie in dieser Übersetzung daherkommt. Er benutzte für den hervorgehobenen Teil das Wort mokusatsu.

Da wir ausführlich Buffys Liebesleben studiert haben, wissen wir, dass satsu etwas mit „töten“ zu tun hat; moku kommt von „schweigen“. Wörtlich übersetzt heißt mokusatsu also etwas „mit Schweigen töten“ [2]. Wie der Eintrag aus dem Wörterbuch am Anfang des Textes zeigt, wird es benutzt, wenn man etwas „in stiller Verachtung zurückweist“ oder halt ignoriert, weil es nicht wert ist, dass man darauf antwortet.

Präsident Harry S. Truman war gepisst. Jahre später erklärte er:

When we asked them to surrender at Potsdam, they gave us a very snotty answer. […] They told me to go to hell, words to that effect.

Für die Alliierten war damit alles klar. Die Reaktion der staatlich kontrollierten Presse, Suzukis arrogante Wortwahl, das Ausbleiben einer anderen Antwort über diplomatische Kanäle und die ungebrochene Kampfeslust des Militärs deuteten alle auf eins hin: Japan wollte keine Gespräche, Japan wollte Krieg. Truman ordnete an, die in der Potsdamer Erklärung angedrohte prompt and utter destruction in Hiroshima umzusetzen. Der Rest der Geschichte ist bekannt.

Erst nach dem Krieg kam heraus, dass einiges sehr, sehr falsch gelaufen war.

Denn mokusatsu hat noch eine andere, seltenere Bedeutung, die oben zuletzt aufgeführt ist: Aus kluger Zurückhaltung keine Antwort zu geben. Damit wäre Suzukis Aussage etwas in der Art wie „kein Kommentar“ gewesen. Dagegen spricht allerdings die zweite Hälfte des Zitats (die auffälligerweise bei einigen Diskussionen über die Frage fehlt). Im Zusammenhang scheint alles weiter eindeutig. Aber das ist nicht die ganze Geschichte.

Heute ist bekannt, dass das japanische Kabinett sich nach einer hitzigen Diskussion darauf verständigt hatte, die Erklärung ausdrücklich nicht zurückzuweisen. Während insbesondere das Militär nichts davon wissen wollte und unerschütterlich an dem Plan Ketsu-Go festhielt, machte sich insbesondere Außenminister Shigenori Togo dafür stark, die Tür offenzuhalten. Er hoffte auf Gespräche mit der formell noch neutralen Sowjetunion (das Thema des nächsten Eintrags).

Damit stellen sich eine ganze Reihe von Fragen, angefangen damit, was mit der Presse los war. Eigentlich hatte die Regierung die Journalisten angewiesen, eine zensierte Version der Potsdamer Erklärung zu veröffentlichen und sich sonst jeden Kommentars zu enthalten. Ganz ignorieren konnte man den Text nicht, denn den Amerikanern war zuzutrauen, ihn im Radio zu verbreiten oder gar als Flugblatt über Japan abzuwerfen. Warum die japanischen Medien mit einer Ablehnung aufmachten, scheint nicht klar zu sein [1].

Was war dann mit Suzuki los? Warum wählte er ausgerechnet ein Wort wie mokusatsu? In der oben zitierten NSA-Analyse von 1968 – also vor der Öffnung aller Archive – wird spekuliert, dass er wie ein typischer Politiker ein Wort wählte, das mehrere Bedeutungen hat, um sich später herauswinden zu können:

A politician could use it and not really be saying anything he couldn’t squirm out of later; but it also left him the opportunity to claim later that he had long been against the course of action under discussion.

Auch beim japanischen Militär gab es über mokusatsu Kopfschütteln [1]. Was Suzuki selbst von der Potsdamer Erklärung hielt, wissen wir auch. Am 30. Juli sagte er dem Informationssekretär des Kabinetts, Kainan Shimomura:

[F]or the enemy to say something like this means circumstances have arisen that force them also to end the war. […] Precisely at a time like this, if we hold firm, they will yield before we do. You advisers may ask me to reconsider, but I don’t think there is any need to stop [the war].

Für ihn – wie auch für das japanische Militär – war die Erklärung der Alliierten ein Zeichen der Schwäche. Wer sich als Sieger sieht, bietet keine Gespräche an. US-Außenminister James Byrnes hatte vor dieser Möglichkeit gewarnt [3]. Wir finden diese Einstellung selbst bei Marineminister Mitsumasa Yonai, der anders als die meisten Militärs für die Annahme der Potsdamer Erklärung war [1]:

If one is first to issue a statement, he is always at a disadvantage. Churchill has fallen. America is beginning to be isolated. The government will therefore ignore it. There is no need to rush.

(Winston Chuchills Partei hatte im Juli 1945 die Parlamentswahl verloren.)

Die Alliierten hatten Okinawa eingenommen, Japans Städte versanken eine nach der anderen in Asche, das Volk litt an Mangelernährung und stand vor einer Hungersnot, die Rüstungsindustrie war zerschlagen, die Flotte zum großen Teil auf dem Boden des Pazifik und das Heer verlor Soldaten im Verhältnis 10:1 gegen die Alliierten. Für zentrale Mitglieder der japanischen Regierung war das aber alles kein Grund, ernsthaft über Gespräche nachzudenken. Aus ihrer Sicht lief alles nach Plan – man musste nur bereit sein, genug Menschenleben zu opfern, wie es Ketsu-Go in Kauf nahm.

Damit wissen wir, warum die Regierung in Tokio keine Anstalten unternahm, den ersten, falschen Eindruck zu korrigieren.

Für viele Japaner war die Wortwahl Suzukis ein katastrophaler Fehler der Regierung, der zu den Atombomben und dem Kriegseintritt der Sowjetunion führte [1]. Wir können die Diskussion darüber nicht viel weiter führen, denn sie mündet in der Frage, ob die Potsdamer Erklärung konkreter auf die Atombomben hätte hinweisen sollen, und das Thema haben wir in diesem Blog ausgeklammert.

Wir können aber festhalten, dass die Dinge vielleicht anders gelaufen wären, wenn Suzuki ein anderes Wort als mokusatsu benutzt hätte.

(Nächster Eintrag der Serie: „Gesprächsansätze mit den Sowjets“)

([1] Richard B. Frank Downfall. The End of the Imperial Japanese Empire. Penguin Books 1999 [2] Marius B. Jansen The Making of Modern Japan Harvard University Press 2000 [3] Richard Rhodes The Making of the Atomic Bomb Simon and Schuster 1986)

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