US-Sportjournalismus im Februar: Supermodels in Bikinis

Februar 12, 2009

Liebe Männer (und Lesben), wir wenden uns heute aus aktuellem Anlass einem kulturellen Phänomen zu, das zum Erwachsenwerden eines jungen Amerikaners gehört. Die Frauen (und Schwulen) unter den interessierten Lesern sind entschuldigt und können sich wie die Schönste Germanin mit Fan Fiction von Twilight beschäftigen.

Denn die neue „Swimsuit Edition“ des Magazins Sports Illustrated ist erschienen. Zeit, seinen inneren 13-Jährigen zu wecken!

Wer amerikanische Blogs oder Nachrichten verfolgt, wird das schon wissen, oder besser, wird kaum verhindert haben können, dass er es weiß. Von Alpha-Bloggern wie Glenn Reynolds von Instapundit bis Medienriesen wie MSNBC gibt es nur ein Thema: Das diesjährige Cover-Model ist die Israelin Bar Refaeli. Leonardo DiCaprio kann stolz sein, denn seine Freundin (falls sie das noch ist, dieser Autor ist bei so etwas nie auf dem Laufenden) hat damit eine der höchsten Ehrungen erhalten, die die Model-Welt zu bieten hat.

Aber der Reihe nach, denn das hier ist ein seriöses Informationsblog. Kicher.

Sports Illustrated (SI) ist das führende amerikanische Sportmagazin und gehört zu Time Warner. Angeblich lesen es jede Woche 19 Prozent der erwachsenen amerikanischen Männer. Es erscheint seit 1954.

Nun ist der Februar für amerikanische Sportzeitschriften ein Problemmonat, denn so viele Nachrichten fallen nicht an. Das war schon 1964 so, bevor es den Superbowl gab und als die NBA noch klein war. Der damalige Chefredakteur von SI, Andre Laguerre, hatte da eine Idee. Er rief eine junge Mode-Fotografin namens Jule Campbell zu sich und fragte sie:

How would you like to go to some beautiful place and put a pretty girl on the cover?

Fast könnte man denken, dass Fotografen mehr Spaß im Leben haben als Autoren, aber gut. Der anhaltende Erfolg der Ausgabe wird zu einem großen Teil Campbell zugeschrieben. Sie lehnte das abgemagerte, „leichenähnliche“ (cadaverous) Model-Ideal der Zeit nach dem Vorbild von Twiggy ab. Campbell wollte healthy girls sehen, wie man sie – wo sonst – in Kalifornien fand.

Das Prinzip gilt bis heute, wie der SI-Redakteur Terry McDonell am Beispiel Refaelis erklärt:

The cover has to reflect the athleticism and sexiness of the culture. This photo is modern, her hair and swimsuit look natural. You see her freckles. Her body is amazing and she looks intelligent. […] A skinny waif won’t work here.

Natürlich wird dem interessierten Leser als erstes der intelligente Ausdruck aufgefallen sein. Dass SI sich (sehr zur Freude ihrer männlichen Leser) nicht wie andere Zeitschriften Hungerhaken aussucht, führt in diesem Jahr zu einem interessanten Effekt. Refaeli gibt ihre Maße auf ihrer Website als 89-60-89 an, ohne Einheiten. So kriegt man amerikanische Teenager dazu, das metrische System zu lernen.

Seit 1997 hat man die störenden Sportler ganz aus der Ausgabe verbannt, außer natürlich, sie treten wie Steffi Graf selbst im Bikini auf. Auf der Liste der Models im SI-Archiv (das, wie wir ausschließlich wegen unserer Chronistenpflicht erwähnen, auch Fotos enthält) findet man Namen wie Cindy Crawford, Tyra Banks, Naomi Campbell, Rachel Hunter oder Heidi Klum.

Klum erklärt, warum sich die Models um den Cover-Platz reißen:

I’ve done many, many, many different covers in the fashion world … but never had as big a splash as Sports Illustrated […] I went to [The Tonight Show with Jay] Leno, the morning shows in New York and L.A. — it was a huge thing — suddenly I became a household name.

Rebecca Romijn sprach 1998 davon, dass ihre Tagesgagen sich nach ihrem SI-Auftritt verdoppelten. Es gibt auch Sekundäreffekte, wie Tyra Banks herausfand:

Every darn sports person called and asked me for a date.

Die „Swimsuit Edition“ oder „Swimsuit Issue“ (daher die Abkürzung „SI si“) ist mit 66 Millionen Lesern inzwischen das größte Zeitschriften-Event in den USA. Die Werbeerlöse betragen 35 Millionen Dollar.

An dieser Stelle mag sich der interessierte germanische Leser fragen, was das den bitte alles soll. Frauen in Bikinis mögen Anfang der 60er Jahre aufregend gewesen sein, irgendwie. Allerdings gab es schon damals seit einem Jahrzehnt den Playboy. Inzwischen haben die Amerikaner etwas namens „Google“ erfunden und jeder Teenager auf dem Planeten kennt die magischen drei Wörter SafeSearch is off. Wieso noch der ganze Zirkus?

SI hat – wie Playboy – daran gearbeitet, sich als kontrovers darzustellen, auch wenn das immer eher lächerlich war. Zwei Wochen nach der Bademode-Ausgabe druckt die Zeitschrift mit heller Freude empörte Leserbriefe. Nehmen wir Schwester Mary Ephrem Loretto im Jahr 1967:

My copy was burned immediately, and the subscription will cease. Perhaps you do not know it, but nudity is more destructive to our youth than an atom bomb.

Aber irgendwie ist das alles nicht mehr wie früher, oder vielleicht gibt es einfach weniger sportinteressierte Nonnen. Wurden 1978 nach dem Auftritt von Cheryl Tiegs in Brasilien noch mehr als 340 Abos gekündigt – es gab, nun, etwas mehr zu sehen als bis dahin üblich – passiert das kaum noch.

Die Sonderausgabe ist eine Institution geworden, sich darüber aufzuregen gilt als talibanesque. Eher gibt es Beschwerden, wenn nicht genug zu sehen ist, wie John Leo vom Universal Press Syndicate 1993 schrieb:

There’s only one frontal topless photo, no wet T-shirts, and maybe only four trademark SI girlie shots out of the 36 photos in the spread. The truth is, if this issue were a car, it would have to be recalled.

Ganz ernst ist die Beschwerde nicht zu nehmen. SI selbst geht mit einer gehörigen Portion Selbstironie an die Sache heran und die restliche Republik hat auch ihre tongue in cheek. Es gibt endlose Parodien und Varianten. Die Wikipedia führt eine Liste von Comic-Versionen, darunter die Marvel Illustrated Swimsuit Issue oder Lady Death Swimsuit 2007 [JPG]. Blogger stellen die Battlestar Galactica Swimsuit Edition 2008 zusammen. Selbst das ehrwürdige Magazin National Geographic, der sehr große Bruder von Geo, ließ sich 2003 auf den Spaß ein und brachte eine Swimsuit Edition mit der Bademode der vergangenen 100 Jahre heraus.

Schließlich ist das SI-Heft ein Stück der eigenen Biografie, denn es markiert, wann sich gewisse Dinge im Leben eines Jungen grundsätzlich ändern.

Den Ablauf kann man sich so vorstellen: Woche für Woche, so lange man denken kann, wird eine Zeitschrift ins Haus geliefert, in der wirklich wichtigen Dinge des Lebens besprochen werden: Football, Baseball, NHL-Hockey, Basketball. Nur im Februar wird eine Ausgabe enttäuscht in die Ecke gepfeffert, die mit den ganzen halbnackten Frauen. Wer will denn das sehen? Yuck!

Irgendwann ist es aber soweit. Irgendwas ist an der Sonderausgabe, nun, anders geworden. So schlimm ist sie gar nicht mehr. Vielleicht ist sie sogar interessant. Vielleicht muss man sie mit auf sein Zimmer nehmen, um sie hinter geschlossener Tür zu studieren, vielleicht sogar mit einer Taschenlampe unter der Bettdecke. Auf jeden Fall dann, wenn Mutti nicht im Raum ist.

Und daher begrüßen wir die nächste Generation von Amerikanern, der bei der Betrachtung von Refaeli ein Licht aufgeht. Ist er nicht wunderbar, dieser intelligente Ausdruck?

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