Zum Jahresauftakt befassen wir uns mit einem Computerspiel, denn Spaß muss sein. Dieser Autor mag am liebsten eigentlich ultra-komplizierte Strategie-Titel wie Civilization IV. Aber als Teil einer Generation, die sich seit frühster Jugend der sozialethischen Desorientierung hingegeben hat, spielt er gelegentlich auch first person shooter (FPS).
[Fußnote: Die Bezeichnung „Ego-Shooter“ – also „Ich-Schießer“ – ist eine deutsche Erfindung. Sie ist für Angelsachsen fürchterlich verwirrend, denn im Englischen bezeichnet ego zunächst ein (übersteigertes) Selbstwertgefühl, wie wir von Zaphod Beeblebrox wissen:
If there’s anything more important than my ego around, I want it caught and shot now.
Da ein Gefühl nicht schießen kann, wird der Begriff analog zum deer hunter oder cop killer so verstanden, dass das Ego nicht der Schütze, sondern das Ziel ist. Ein „Ego-Shooter“ wäre damit eine radikale Form der Psychotherapie, was höchstens zutrifft, wenn man an die Katharsis-Theorie glaubt.
Außerdem sind ego, id und super-ego die englischen Begriffe für Ich, Es und Über-Ich aus der Psychoanalyse. Deutsche Berichte über FPS werden für Amerikaner und Briten daher unfreiwillig komisch wenn darauf hingewiesen wird, dass id Software die berühmtesten „Ego“-Shooter herausgebracht hat. Das alles zeigt, wie wichtig es ist, auf sein Über-Ich zu hören und Scheinanglizismen zu vermeiden.]
Allerdings benötigt dieser Autor bei solchen Spielen selbst für ganz kleine level ewig. Das liegt nicht nur daran, dass er mit einer Familie, einem Job, diesem Blog und einem gewissen Schlafbedürfnis einfach nicht die Zeit für die XP-Partition hat. Zum großen Spaß bei einem FPS gehört für ihn, die Ebenen komplett zu erforschen, sämtliche Winkel auszukundschaften und alles zu sehen, was sich die Programmierer ausgedacht haben. Er ist, wie ein genervter Bekannter es einmal formulierte, so etwas wie ein Cyber-Krisentourist.
Der neu erschienene Shooter Left 4 Dead (L4D) löst daher bei ihm gemischte Gefühle aus. Zwar haben die Macher sehr zu seiner Verzückung beschlossen, den Hintergrund der Zombie-Apokalypse und Hinweise auf den Spielverlauf durch Unmengen an liebevoll gemachter Graffiti zu vermitteln. Da L4D aber kein klassischer FPS wie Doom oder Far Cry ist, sondern ein survival shooter, kann man die Ebenen nicht freiräumen, um danach alles in Ruhe zu erkunden. Die KI – genauer, The Director – generiert ständig neue Wellen von Gegnern.
Das ist nervig. Wie soll man sich bitte auf einen Nietzsche-Text an der Wand des Flughafen-Terminals konzentrieren, wenn alle paar Minuten eine neue Horde von schreienden Untoten versucht, einem das Fleisch von den Knochen zu reißen? So kann man doch nicht arbeiten!
Bis dieser Autor ein ausreichend wehrhaftes Lese-Erlebnis zustande bringt, muss er sich mit der Graffiti in den Schutzräumen begnügen. Zum Glück sind die eine Fundgrube. Da wäre zum Beispiel dieser Hinweis [JPG]:
Move during the day
They only come out at night
Dadrunter steht folgender Kommentar (Hervorhebung hinzugefügt):
Thats vampire’s
Moron!!
Ein oder zwei gepflegte Gemetzel später finden wir [JPG] in einem anderen Raum eine Diskussion darüber, ob die Regierung – die der USA, versteht sich, wir sind hier nicht bei World War Z – oder das Militär für den Ausbruch verantwortlich ist. Oder geht er nicht doch vielleicht auf einen Virus zurück, das von Außerirdischen gezüchtet wurde? Auf die Frage What if this was first contact? folgt:
What if your an idiot?
Eigentlich müsste es natürlich that’s vampires und what if you’re an idiot heißen. Aber Valve hat sich bei L4D die Mühe gemacht, bei der Graffiti die Wortwahl und Rechtschreibung an das wirkliche Leben anzupassen. In einem Spielbericht, den dieser Autor leider nicht wiederfindet, wurde spöttisch davon gesprochen, dass die Überlebenen „wie im Internet“ schreiben. Bestimmt ist das eine Folge der sozialethischen Desorientierung. Die BPjM hat es ja gleich gewusst.
Wir erwähnen das hier, weil dieser Autor häufig von (wahlweise) verunsicherten, verwunderten oder erbosten Deutschen auf irgendwelche englischen Texte angesprochen wird, in denen es offensichtliche Rechtschreibfehler gibt. Dass nicht jeder Muttersprachler alle Regeln beherrscht, ist eigentlich keine große Erkenntnis. Nicht umsonst gibt es für Deutsche Dinge wie den Zwiebelfisch.
Wer aber eine Fremdsprache erlernt, muss zwangsläufig erstmal davon ausgehen, dass die Eingeborenen wissen, was sie da tun. Ist das nicht der Fall, tritt ein Schockzustand ein, weil das Gefühl der Sicherheit weg ist. Das war aber eh trügerisch. Dieser Eintrag ist damit auch eine Bitte, diesen Autor nicht mehr auf solche Fälle anzusprechen. Sonst wird er nie ein hunter punter.
Fairerweise muss man sagen, dass das Problem in der jetzigen Größenordnung neu ist. Früher hatte man als englische Quellen außerhalb der Schule nur Zeitungen oder Bücher, Medien also, die von Profis geschrieben wurden. Über das Internet haben Deutsche aber jetzt Zugang zu englischsprachigen Foren und Blogs, in denen ihre Gegenüber nicht weniger Fehler machen als Germanen in ihrer eigenen Sprache.
(Umgekehrt gilt das natürlich auch für Amerikaner, die Deutsch lernen. Die erwarten zum Beispiel ganz naiv ein Genitiv-s. Nach dem Kontakt mit der Wirklichkeit muss man dann erstmal erklären, dass der Dativ der Tod des Genitivs ist.)
Ein Ratschlag: Wer viel mit englischen Texten zu tun hat, besonders von Leuten, die nicht von Berufs wegen schreiben, sollte sich die Mühe machen, sich die häufigsten Fehler von Muttersprachlern auszuschauen. Neben dem Kampf mit dem Apostroph in allen Ausführungen sind andere häufige Probleme Verwechselungen wie accept/except, affect/effect oder truely/truly.
Unterhaltsamer als Lexika sind dazu Podcasts wie Grammar Girl oder Bücher wie Accomodating the Brocolli in the Cemetary [sic], wo auf den geschichtlichen Hintergrund und berühmte Verschreiber eingegangen wird. Bei Accomodating finden wir auch eine Liste der Wörter (oder heißt es doch „Worte“?), die von Angelsachsen im Internet überdurchschnittlich häufig falsch geschrieben werden. Die ersten Einträge aus der sehr langen Liste lauten:
minuscle
millennium
supersede
accommodation
irresistible
ecstasy
embarrass
Und das bringt uns zurück zu L4D. Denn der (bislang) beste Spruch [JPEG] an einer Wand findet sich knapp über den Fußboden in ganz kleiner Schrift unter einer Diskussion darüber, wer die wirklichen Monster sind, die Menschen oder die Zombies:
I miss the internet.
Dumm nur, dass Internet ein Eigenname ist und groß geschrieben werden muss.
([1] Accomodating Brocolli in the Cemetary (or why can’t anybody spell?) Vivian Cook, Profile Books 2004)