Gang Signs und Superhelden

Oktober 20, 2008

Wer erwartet, hier jetzt etwas über Kot und Zähne zu lesen, wird enttäuscht sein – so etwas nimmt dieser Autor im Moment nur am Rande wahr. Denn der geschätzte Kollege NMK hat ihn am Freitag darauf aufmerksam gemacht, dass Neal Stephenson endlich Anathem fertigestellt hat. Dieser Autor ist inzwischen bei Seite 129 angelangt und kann sagen, dass der Roman seinen Bestsellerstatus verdient hat. Für die restlichen 808 Seiten ist die reale Welt ziemlich auf sich selbst gestellt.

Trotzdem verlassen wir die mathic world lange genug für einen Hinweis auf eine Szene aus Iron Man, nach The Dark Knight die beste Verfilmung eines Superhelden-Comics überhaupt. Ziemlich am Anfang wird der Rüstungsindustrielle Tony Stark vom amerikanischen Militär in Afghanistan zu einem Waffentest gefahren. Für ein Erinnerungsfoto mit einem Soldaten rückt er auf dem Rücksitz des Fahrzeugs zusammen. Als der Soldat die Hand zum Friedens-V hebt, kommt im Original dieser Dialog:

Stark: Please, no gang signs.
[Der Soldat senkt die Hand]
Stark: No, throw it up. I’m kidding.

Bei einem gang sign handelt es sich um ein Handzeichen oder eine Handbewegung, die die Zugehörigkeit zu einer Bande demonstriert. Mit „Bande“ ist nicht so etwas wie die Scooby Gang von Buffy oder die Fünf Freunde gemeint, sondern eine Form der organisierten Kriminalität. Daher verstehen eine ganze Reihe von Organisationen in Amerika wie die NFL keinen Spaß, wenn es um solche Zeichen geht. Das gilt besonders in Großstädten mit hoher Bandenkriminalität:

There are more than 250 active gangs in the City of Los Angeles. Many of these gangs have been in existence for over 50 years. Sadly, these gangs have a combined membership of over 26,000 individuals.

Durch die Rap-Welle gibt es aber eine Verbreitung von solchen Handzeichen unter Teenagern (nicht nur in den USA, sondern Dank des Kulturimperialismus in aller Welt). Damit stellt sich von Situation zur Situation die Frage, wie ernst man solche Gang Signs nehmen muss. Die Neigung von Behörden, sich im Umgang mit der Jugendkultur komplett lächerlich zu machen, kennen wir ja auch aus Deutschland.

Hier stößt dieses Blog an seine Grenzen. Dieser Autor hat gerade nachgeguckt, und unter seinen etwa 4.600 iTunes-Liedern gibt es genau zwei, die mit dem Genre „Rap“ versehen sind („Mama Said Knock You Out“ von LL Cool J und „Numb/Encore“ von Jay-Z und Linkin Park). Außerdem kommt er in das Alter, wo Teenager anfangen zu überlegen, ob sie ihm in der S-Bahn ihren Sitz anbieten sollten. Von Gang Signs hat er etwa so viel Ahnung wie von Mudras.

Daher halten wir hier nur fest, dass die Sache kompliziert ist. So hat das ironische Musik-Video White Chicks & Gang Signs verschiedenste Kommentare nach sich gezogen: Einige halten das für ganz furchtbar, andere für Klamauk, noch andere für angewandte Gesellschaftskritik. Es gibt Cheerleader-Handzeichen wie den doppeldeutigen shocker – einige davon sind gleichzeitig Bandenzeichen. Es gibt scherzhafte Geek Gang Signs. Und so weiter.

Wir können aber zumindest sagen, dass der Amerikaner an sich mit dem allgemeinen Prinzip der Gang Signs vertraut ist. In Deutschland kann man das mangels Banden (und Cheerleader) nicht voraussetzen.

Was uns zu Iron Man zurückbringt: Was haben die Übersetzer mit dieser Stelle gemacht [DVD]?

Stark: Bitte keine unflätigen Zeichen.
[Der Soldat senkt die Hand]
Stark: Nein, machen Sie ruhig. War ein Scherz.

Das hat zwar nichts mehr mit Banden zu tun, ist aber trotzdem wunderbar gelöst: Im nächsten Satz erklärt Stark nur halb scherzhaft, dass der Frieden für ihn Arbeitslosigkeit bedeuten würde. Die Andeutung, dass Stark das Friedens-V nicht sehen will, ist erhalten geblieben.

Jetzt bleibt nur abzuwarten, wie der Übersetzer von Stephensons Anathem mit dem Wort bulshytt umgeht.

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