Police Blotters: Öffentliche Polizeiprotokolle

Juni 11, 2008

Vor einigen Tagen wurde der 36-jährige Moses Diaz aus Dorchester in Massachusetts wegen Fahrrad-Diebstahls festgenommen. In Colorado Springs wurde Jonathan Hamilton – geboren am 19. April 1983, übrigens – wegen eines Raubüberfalls verhaftet. Und in Iowa City wurde Kyle Andrew Berg, geboren am 17. Januar 1986 und wohnhaft in der Scenic Valley Drive 700, falls es jemand wissen will, wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit festgenommen.

Woher dieser Autor das weiß, und woher er die Namen, das Alter und die Adressen kennt? Weil die jeweilige Polizei von Boston, Colorado Springs und Iowa City diese Informationen veröffentlicht haben.

In den USA sind die „Logbücher“ der Polizeiwachen, die police blotters, öffentlich zugänglich. Alle Festnahmen und Einsätze werden darin aufgezeichnet und dann publik gemacht. Meist – wenn auch nicht immer – geschieht das mit den vollen Namen der mutmaßlichen Täter und anderen Personalien.

Wie die blotters genau aussehen, hängt von den jeweiligen Vorschriften für die Polizei ab, die in den USA bekanntlich kommunal organisiert ist. In Pittsburgh erfährt der interessierte Bürger auch die Namen der zuständigen Richter, während in Stanly County in North Carolina die Namen von Opfern genannt werden:

Moyle, Caroline Nadine (W F, 58) VICTIM of Larceny From Vehicle (C), at 105 Moss Springs Rd, Albemarle, NC, between 16:00, 05/26/2008 and 08:45, 05/27/2008. Reported: 05/27/2008. Tire and rim taken from victim’s vehicle parked on Moss Springs road.

Es gehört zu den Routineaufgaben der amerikanischen Lokalpresse, diese Protokolle zu sichten und die wichtigsten Fälle zu veröffentlichen. Im Zeitalter des Internets werden die Listen zum Teil vollständig übernommen. Deswegen finden wir auf der Website der „Durango Herald“ aus Colorado Meldungen wie diese vom Donnerstag:

8:41 a.m. A dog was without food or water for 24 hours in the 3100 block of East Third Avenue.

Der „Herald“ gibt jedes Jahr eine Art best of blotter [PDF] heraus mit den kuriosesten Fällen.

(Bei vielen Blättern wie dem „Daily Iowan“ werden für die häufigsten Vergehen Abkürzungen benutzt:

  • DUI – driving under influence [im Rausch]
  • DWI – driving while intoxicated
  • DUS – driving under suspension [ohne Führerschein]
  • IWOA – interference with official acts
  • OWI – operating a motor vehicle while intoxicated
  • PAULA – possession of alcohol under the legal age

Wer als Austauschschüler „Paula“ heißt, sollte sich auf entsprechende Witze gefasst machen.)

Nicht nur die Stadtpolizei und die Sheriffs führen solche Protokolle, sondern auch die entsprechenden Organe der anderen Verwaltungseinheiten wie die Polizei der Universitäten. Es wundert daher nicht, dass Second Life ebenfalls einen blotter hat. Sollte es einen bei World of Warcraft geben – Orc killed by Night Elf, blood fury suspected – hat dieser Autor ihn leider nicht gefunden.

Das Ganze ist die Fortsetzung eines Prinzips, das wir bei der Diskussion über die Namensschilder der Polizei besprochen hatten: In den USA kontrollieren sich die Staatsorgane nicht nur gegenseitig, sondern werden auch so engmaschig wie möglich direkt vom Bürger überwacht. Jeder soll wissen, was die Beamten den ganzen Tag so tun. Insbesondere soll verhindert werden, dass die Polizei irgendwelche Leute mitnimmt, ohne dass jemand davon erfährt.

Entsprechend entsetzt sind Amerikaner darüber, dass die deutsche Polizei nicht nur „anonym“ arbeitet – sprich, keine Namensschilder trägt – sondern dazu noch „heimlich“ agiert und einfach Leute festnimmt, ohne deren Namen zu veröffentlichen. Geradezu köstlich ist der Gesichtsausdruck von amerikanischen Journalisten, wenn sie zum ersten Mal von einem empörten deutschen Polizeisprecher gesagt bekommen, dass gewisse Dinge sie einen feuchten Dreck angehen. Hier prallen sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Beziehung zwischen Bürger und Polizei aufeinander.

Bei dem System wird eine gewisse Prangerfunktion in Kauf genommen. Wer wegen, sagen wir mal, DUI in einer school zone festgenommen wird, kann sich gleich darauf einstellen, dass Familie, Freunde und Firmenkollegen davon erfahren werden. Die öffentlichen Protokolle sind auch der Grund, warum man in den USA häufiger und vor allem detaillierter über die Schandtaten von Prominenten und Politikern liest: Die amerikanische Presse erfährt es eher als ihre Kollegen in Europa.

Das muss nicht immer schlecht sein: So wissen wir, was für eine
hilfreiche Person Sandra Bullock nach einem Autounfall ist. Eine Wildkatze hinter dem Steuer ist wie wohl doch nicht.