Lyrisches über die iPhone-Aktivierung

Juli 3, 2007

Erica Sadun vom inoffiziellen Apple-Weblog (TUAW) hat sich dafür entschieden, ihr neues iPhone nicht wie alle anderen Kinder auf Rechnung zu aktivieren, sondern die prepaid-Variante zu wählen. Sie beschreibt das Erlebnis so:

Two roads diverged in iPhone activation and I — I took the one less traveled by. And that has made all the difference.

Was der Angelsachse sofort weiß, der Germane aber vielleicht nicht, ist dass sie hier auf die letzte Strophe des Gedichts „The Road Not Taken“ von Robert Frost anspielt:

I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I —
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.

Das Stück gehört zum zentralen Kulturschatz der Angelsachsen und deswegen findet man immer wieder Anspielungen auf einen road not taken – etwa so, wie Deutsche ständig durch Nacht und Wind reiten oder dauernd irgendwelches Zeug schwarz auf weiß nach Hause tragen. Wegen der Neigung von Amerikanern, Briten, Kanadiern und Co., immer und überall Wortspiele zu machen, begegnet man solchen Zitaten aber häufiger. Dummerweise sind es oft indirekte Anspielungen, was alles für Außenstehende schwierig macht.

Neben wir zum Beispiel einen Raben. Das Tier sagt bei den Angelsachsen ständig nevermore, was auf Edgar Allan Poe zurückgeht:

Quoth the raven, „Nevermore!“

(quoth ist altertümlich für „sagte“)

Für einen intelligenten Autor wie Terry Pratchett ist das viel zu plump. Deswegen heißt ein gewisser Rabe bei ihm „Quoth“ – Quoth the Raven lautet dann der volle Name der Figur. Als Übersetzer kann man sich in so einem Fall natürlich gleich erschießen, aber hier kommt man auch mit der Originalversion nicht weiter, wenn man das Gedicht nicht kennt.

(In seiner Jugend hat dieser Autor zusammen mit seinem besten Freund RH The Raven auswendig gelernt, der Freund auf Deutsch, dieser Autor auf Englisch. Die Versionen parallel aufzusagen machte großen Spaß, besonders wenn junge Damen anwesend waren. Ob RH immer noch seine Version kann, konnte erstmal nicht herausgefunden werden, denn sein Server nimmt plötzlich keine E-Mails von dieser Adresse an. Es ist so schwer, die Lyrik zu pflegen.)

Ähnliche Beispiele lassen sich für „miles to go before I sleep“ (wieder Frost), „[ours] is not to reason why“ (Tennyson), „keep the bridge with me“ (Macaulay), „golden apples of the sun“ (Yeats) oder „water, water everywhere“ (Coleridge) finden. Bei der Bibel oder selbst Shakespeare hätte man als Deutscher vielleicht noch Chancen, aber wie soll man so etwas erkennen?

Der einzige Rat, den man geben kann, ist komisch wirkende, ständig auftauchende Formulierungen zu googlen, um zu sehen, ob mehr dahinter steckt.

Warum sollte man sich diese Mühe machen? Einmal natürlich weil es wunderschöne, bewegende Gedichte sind. Aber es gibt einen zweiten Grund: Für wenig Aufwand schindet man damit viel Eindruck. Jede Kultur hat einen Satz von solchen Schätzen und wer auf sie anspielt, gilt schlagartig als gebildet, auch wenn er sonst Willow nicht von Cordelia unterschieden kann.

Das gilt doppelt für Ausländer. Wer als Deutscher weiß, dass „beauty truth“ ist und „truth beauty“ (Keats), muss einfach total klug sein. Schließlich ist auch ein Amerikaner, dem klar ist, wieso Claudia einen Schäferhund hat, nicht halb so beeindruckend wie einer, der weiß, was im Innersten eines Pudels steckt oder warum man immer sein Pentagramm schließen muss.

Und jetzt haben alle deutschen Leser bis zum Herbst Zeit, sich ein deutsches Literaturzitat für ihre iPhone-Freischaltung zu überlegen.

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