Hunde bellen dort nicht mehr: Frühe europäische Vorurteile über die USA

August 2, 2006

Gestern am (sehr) frühen Morgen war der Top-Suchstring für dieses Blog „sind amerikaner wirklich doof“, mit immerhin zwei Treffern. Dieser Autor ist zu verzückt darüber, dass Leute tatsächlich noch „doof“ benutzen – wir haben in der Grundschule lange, hitzige Debatten darüber geführt, ob es nicht doch „doff“ geschrieben wird – und zu geschmeichelt, dass die Maschinengötter von Google diese Person hierher geschickt haben, um sich über die Einstellung hinter diesem Suchstring zu ärgern. Sie ist auch eher harmlos im Vergleich zu anderen Fragen wie zum Beispiel die, wann die Amerikaner endlich aufhören werden, Indianer zu kastrieren. Alles schon da gewesen.

(In die andere Richtung gibt es natürlich auch Vorurteile. Die folgende Passage über deutsche Einwanderer stammt von keinem geringeren als Benjamin Franklin:

Those who come hither are generally of the most ignorant Stupid Sort of their own Nation, and as Ignorance is often attended with Credulity when Knavery would mislead it, and with Suspicion when Honesty would set it right; and as few of the English understand the German Language, and so cannot address them either from the Press or Pulpit, ‚tis almost impossible to remove any prejudices they once entertain.

Die Übersetzung bleibt dem geneigten Leser zur Übung überlassen.)

Wir wollen diese Gelegenheit nutzen, um uns den wohl ersten offiziellen Schlagabtausch zwischen Amerikanern und Europäern über antiamerikanische Vorurteile anzuschauen. Der wurde am Ende so schlimm, dass ein Elch nach Frankreich importiert werden musste.

Der Reihe nach:

Im Jahr 1786 war Thomas Jefferson – Verfasser der Unabhängigkeitserklärung (aber nicht der Verfassung) – Botschafter der jungen USA in Paris. Wie damals alle Amerikaner liebte der spätere Präsident die Stadt – wenn da nicht der respektierte französische Naturwissenschaftler Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon, gewesen wäre.

Buffon war der Meinung, dass die Tiere in der Neuen Welt alle mickeriger seien als in der Alten. Ein Puma, so Buffon, sei „viel kleiner, schwächer und viel feiger als ein echter Löwe“. In Amerika gebe es keine Elefanten, keine Nashörner, keine Nilpferde und statt des Kamels nur dieses komische Lama. Bei den Ureinwohnern sei das genauso: Die Indianer seien weniger potent als die Europäer. Der Grund waren vermutlich giftige Dämpfe oder so etwas.

Damit aber nicht genug. Was immer auch der Auslöser war, es sorgte laut Buffon und anderen führenden europäischen Wissenschaftlern der damaligen Zeit auch dafür, dass Lebewesen aus der Alten Welt degenerierten, wenn man sie über den Atlantik brachte: Die Tiere schrumpften. Hunde, so die vielleicht bekannteste Behauptung, hörten auf zu bellen, wenn sie zu lange amerikanische Luft atmeten.

Die Amerikaner waren natürlich erbost über diese Theorie, besonders über den ziemlich offenkundigen Blödsinn mit den verstummenden Hunden. Diese schafften es sogar in die Federalist Papers (Text Nummer 11) als Argument dafür, warum ein gemeinsamer, geeinter Staat so wichtig für die ehemaligen Kolonien war:

Men admired as profound philosophers have, in direct terms, attributed to her [Europe’s] inhabitants a physical superiority, and have gravely asserted that all animals, and with them the human species, degenerate in America — that even dogs cease to bark after having breathed awhile in our atmosphere. Facts have too long supported these arrogant pretensions of the Europeans. It belongs to us to vindicate the honor of the human race, and to teach that assuming brother, moderation. Union will enable us to do it.

Auch Jefferson war, wie man heute sagen würde, gepisst. Die politischen Implikationen der Degenerationstheorie waren klar: Die komische neue Republik, nein, alle Menschen in der Neuen Welt würden sich auf Dauer nicht selbst regieren können, sondern brauchten die leitende Hand der körperlich und geistig überlegenen Europäer. Es war somit wissenschaftlich bewiesen, dass eine Unabhängigkeit der USA unmöglich war. Nur der Kolonialismus war eine stabile Regierungsform.

Jefferson sah die Theorie außerdem als Teil einer größeren Kampagne der europäischen Monarchien und Fürstentümer an, ihre Untertanen an der Auswanderung zu hindern:

One half of Germany and more than half of England, Scotland, and Ireland would be soon on tiptoe, and no inconsiderable part of France, to fly to America for relief from that intolerable load which they now carry on their shoulders, if they knew the true state of facts in America.

Besonders die Engländer wüssten dies und hätten „eine unglaubliche Zahl“ von Personen darauf angesetzt, die USA schlecht zu schreiben (böse Stimmen weisen diese Rolle inzwischen der BBC zu, was die Briten energisch zurückweisen).

Jefferson schrieb jahrelang gegen die Degenerationstheorie an, unter anderem mit seinen Beschreibungen der Tiere Nordamerikas in den Notes on the State of Virginia. Aber ihm war klar, dass er mehr brauchte als nur Worte.

Und so ließ er sich einen (toten) Elch schicken, denn amerikanische Elche sind deutlich größer als europäische Rehe oder Rentiere. Das Exemplar war dann zwar nicht ganz so imposant, wie Jefferson gehofft hatte, aber es hatte trotzdem einen Schulterstand von sieben Fuß, also von etwas mehr als zwei Metern. Jefferson baute es in der Eingangshalle seiner Residenz auf, dem Hotel de Langeac. Sieht so ein degeneriertes Tier aus, konnte er seine Besucher dann fragen. Ist das groß genug für euch?

Buffon beeindruckte das nicht, und er vertrat bis zu seinem Lebensende die Degenerationstheorie. Spätestens nach der ersten Begegnung mit einem Mammutbaum dürfte die sich zwar erledigt haben. Verwandte Vorstellungen bleiben aber noch lange in den Köpfen hängen und wurden später von den Nazis missbraucht. Ersetzt wurden sie durch die Evolutionstheorie.

Jeffersons Elch ist so etwas wie Sinnbild für Situationen geworden, in denen man Dinge zeigen muss, statt nur darüber zu sprechen. Der Jurist David Post schlug 2000 in einem Text vor, die Musiktauschbörse Napster nach diesem Vorbild als Beispiel zu verwenden, was alles im Internet möglich sei. Schaut man sich an, was weiter mit Napster geschah, war er damit wohl tatsächlich so erfolgreich wie Jefferson bei dem Versuch, Buffon zu überzeugen.

Der Fall wirft natürlich auch für dieses Blog Fragen auf: Reicht es, über die USA zu schreiben, oder brauchen auch wir einen Elch? Hoffentlich nicht. Kind Nummer Eins hätte vermutlich nichts dagegen, aber ein zwei Meter großer Elch-Kadaver in unserem Flur – wenn er überhaupt dort hinein passen würde – dürfte selbst die sprichwörtliche Toleranz der Schönsten Germanin hart auf die Probe stellen. Schon ein ausgestopfter Waschbär auf dem Schuhschrank wäre schwierig. Vielleicht eine Scheibe eines Mammutbaums als neuen Wohnzimmertisch?

Blogs machen die erstaunlichsten Probleme.

(Weitere Quelle: Miracle at Philadelphia, Catherine Drinker Bowen, ISBN 0-316-10398-5. Danke an DKS für Recherchehilfen.)

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