Der Streit um die „Illegals“, Teil 2: Gesetze im Schweinsgalopp

Mai 22, 2006

Laut war es vergangene Woche in dem Streit, was mit den mehr als zehn Millionen Menschen in den USA zu tun ist, die keine Aufenthaltsgenehmigung haben. Im Senat zumindest. Denn während dort eine Abstimmung die nächste jagte, befasste sich die andere Kammer des Kongresses, das Repräsentantenhaus, völlig ungerührt mit Dingen wie Haushaltsfragen zum Umweltschutz. Worüber der Senat da abgestimmt hat, wird auf den ersten Blick nicht ganz klar. Das endgültige Gesetz war es jedenfalls nicht, denn in dieser Woche soll die Debatte weitergehen. Da regt sich das natürliche Misstrauen des Steuerzahlers: Was machen die da eigentlich?

Am Ende, das wissen wir, soll aus dem Chaos ein einziges, fertiges Gesetz zur Einwanderung entstehen. Nur, wie das funktioniert ist vielleicht nicht klar, weil es anders läuft als in Europa. Schauen wir uns also mal an, wie in den USA Gesetze gemacht werden.

Dazu müsste man eigentlich ziemlich weit ausholen und Dinge wie die Gewaltenteilung besprechen. Wir müssten nicht nur erklären, dass der Kongress zwei Kammern hat, sondern warum und wie die Abgeordneten dort hinkommen. Das wäre nach dem Lehrbuch, würde aber dauern. Damit wir erstmal die Debatte selbst weiter verfolgen können, werden wir hier einige Dinge über’s Knie brechen und uns auf das wie beschränken. Den Rest holen wir bei Gelegenheit nach – wenn es im Kongress an irgendwas nicht mangelt, dann ist es die Bereitschaft, neue Gesetze zu erlassen.

Machen wir zuerst einen groben Durchlauf.

Der Kongress besteht aus zwei Kammern, dem Repräsentantenhaus und dem Senat. Im Gegensatz zu europäischen Parlamenten gibt es kein „Oberhaus“, das die Entscheidungen des „Unterhauses“ bestätigt oder ablehnt (auch wenn gelegentlich vom upper und lower house die Rede ist): Beide Kammern arbeiten parallel. Das Repräsentantenhaus macht einen Gesetzentwurf, und der Senat macht unabhängig davon einen eigenen. Die Kammern können sich auch gegenseitig ihre Entwürfe zuschicken. Am Ende müssen beide Kammern identische Versionen verabschieden, damit daraus ein Gesetz wird. Das ist aber nur bei trivialen Entscheidungen der Fall.

Alle anderen gehen vor den Vermittungsausschuss (conference committee), der von Mitgliedern beider Kammern gebildet wird und sich nur mit den Unterschieden beschäftigen darf. Haben sich der Ausschuss auf einen Kompromiss geeinigt, geht der gemeinsame Entwurf wieder an die einzelnen Kammern zurück. Stimmen diese den Änderungen zu, wird er dem Präsidenten zur Unterschrift vorgelegt.

Theoretisch hat dieser ein Veto-Recht, aber das können wir erstmal ignorieren: Bush hat noch nie ein Veto eingelegt. Da er hin und wieder damit droht, ist klar, dass er schon von der Möglichkeit weiß, aber er macht es einfach nicht. Der Kongress kann mit einer Zweidrittel-Mehrheit in jeder Kammer ein Veto überstimmen.

Schon dieser Überblick zeigt, dass wir viel von dem Lärm aus dem Kongress ignorieren können. Schaut man sich die
Statistik [PDF] für 2005 an, sehen wir, dass im Repräsentantenhaus 4653 und im Senat 2169 Gesetzesvorschläge (bills) eingebracht wurden. Heraus kamen 169 Gesetze (laws – immer noch eine viel zu hohe Quote, meinen viele). Wenn man also irgendwo liest, dass der Senat „ein Gesetz verabschiedet hat“ oder dass das Repräsentantenhaus „sich mit einem Gesetz beschäftigt“, ist das erstmal nicht spannend. Man muss immer wissen, was die andere Kammer macht. Manchmal lautet die Antwort „gar nichts“, denn Unabhängigkeit heißt auch, dass man den anderen ignorieren kann.

Wie sieht es bei der Einwanderung aus? Der Senat bespricht den Entwurf S.2611, A bill to provide for comprehensive immigration reform and for other purposes. Wenn das Repräsentantenhaus andere Dinge macht, liegt es daran, dass es schon im Dezember H.R.4437 verabschiedet hat: To amend the Immigration and Nationality Act to strengthen enforcement of the immigration laws, to enhance border security, and for other purposes. Dieser Entwurf wurde auch an den Senat geschickt, aber der wollte ihn nicht, denn den Senatoren sind die Maßnahmen zu streng. Damit ist also jetzt schon klar, dass die Sache vor den Vermittlungsausschuss gehen wird. Das Thema ist lange noch nicht durch. Allerdings hofft man, so heißt es, auf eine Einigung noch in diesem Jahr.

Bleibt die Frage, worüber die Senatoren dann in der vergangenen Woche abgestimmt haben.

Während der Debatte über einen Gesetzentwurf können die Abgeordneten „Anhänge“ (amendments) vorschlagen. Über diese Anhänge wird dann einzeln abgestimmt, bevor das ganze Gesetz vorgelegt wird. Beim Entwurf des Repräsentantenhauses waren es am Ende 32 Anhänge, wie zum Beispiel H.AMDT.661. Dieser Vorschlag der Abgeordneten Sue Myrick aus North Carolina sieht vor, dass illegale Einwanderer sofort aus dem Land geworfen werden, wenn sie betrunken Auto fahren (er wurde angenommen). Der ursprüngliche Gesetzentwurf des Senats zieht im Moment einen Rattenschwanz von 122 Anhängen hinter sich her – wohlgemerkt, es gibt nur 100 Senatoren.

Wichtig ist dabei, dass es sich noch nicht um Gesetze handelt, auch nicht um Gesetzentwürfe, sondern – wenn man so will – um Fragmente von Gesetzentwürfen. Eine Zustimmung zu einem Anhang ist nur dann wichtig, wenn auch der eigentliche Gesetzentwurf von der Kammer angenommen wird, und der ist nichts wert, wenn nicht auch die andere Kammer das gleiche beschließt.

Das erklärt auch, warum einige der gerade beschlossenen Dinge etwas bizarr anmuten. So hat der Senat gleich zwei Anhänge zu S.2611 angenommen, die sich mit der englischen Sprache beschäftigen. Die USA haben keine Landessprache, was Senator James Inhofe aus Oklahoma ändern will: Englisch, so heißt es in Anhang S.AMDT.4064, soll die offizielle Landessprache werden. Aber kurz darauf wurde auch der Vorschlag S.AMDT.4073 von Ken Salazar aus Colorado angenommen, in dem lediglich festgestellt wird, dass Englisch die „gemeinsame und vereinigende Sprache“ der USA ist. Beides geht nicht, aber das ist nicht schlimm: Es handelt sich um Verhandlungsmasse für den Vermittlungsausschuss.

So in etwa entstehen in den USA Gesetze. Wir haben einige wichtige Schritte übersprungen – die bereits früher erwähnten Ausschüsse zum Beispiel – aber das wird wie gesagt später nachgeholt.

Wir können auch so einige Unterschiede zu den europäischen Systemen erkennen. Während in Deutschland die Regierung dem Parlament ein Gesamtpaket vorlegt – wie gerade bei der Steuererhöhung geschehen – und dank des Fraktionszwangs eine Zustimmung so gut wie sicher ist, sind es in den USA die Abgeordneten selbst, die das Gesetz vorschlagen, es in Debatten verfeinern und schließlich verabschieden. Die Regierung – also was der Amerikaner administration nennt – kann höchstens ganz am Ende ein Veto einlegen. Hintergrund ist die strengere Gewaltenteilung im US-System.

Können wir auch diesmal ein Grundprinzip erkennen? Hauptsächlich wieder den Zwang zum Kompromiss, denn beide Kammern müssen sich auf einen einzigen Text einigen. Im Moment ist bei der Frage der Einwanderung noch nicht viel davon zu sehen, aber das kommt spätestens im Vermittlungsausschuss, wann immer das auch sein mag.

Und eins ist klar: Dann wird es noch lauter.

(Die Links zu den einzelnen Gesetzesentwürfen entstammen THOMAS, der nach Thomas Jefferson benannten Online-Datenbank der Kongressbibliothek. Dort findet man auch Protokolle der Debatten, Kalender und vieles andere mehr.)

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